Vor 850 Jahren ist die Basilika im sächsischen Wechselburg geweiht worden. Lettner und Triumphkreuzgruppe sind von überregionaler kunsthistorischer Bedeutung. Wenn nun das Jubiläum gefeiert wird, so auch die Wiederbesiedlung des einstigen Stifts durch Benediktiner vor 25 Jahren in einem Landstrich mit wenigen Christen.
WECHSELBURG. Auf einem Bergsporn über einer Flussschleife der Zwickauer Mulde, inmitten von derzeit frühlingsgrünen Wäldern und rapsgelben Feldern gelegen, erhebt sich in rotem Porphyr-Tuff 27 Kilometer nordwestlich von Chemnitz die einstige Stiftsbasilika zu Wechselburg. Geweiht vor 850 Jahren als Teil eines Hausklosters des Wettiners Dedo von Groitzsch, zunächst von Augustiner-Chorherren besiedelt und um 1180 vollendet, liegt die kunsthistorische Bedeutung des spätromanischen Baus vor allem bei seinem um 1230 entstandenen Lettner und der Triumphkreuzgruppe. Das Besondere: eine damals seltene „Monumentalität, die der seelischen Größe der Gestalten Ausdruck verleiht“, schrieb der Kunsthistoriker Heinrich Magirius und deutete sie als wohl „von der französischen Kathedralplastik inspiriert“. Das Werk gilt nach Art und Qualität angesichts zahlreicher Verluste zwischen Harz und Elbe als das weit und breit bedeutendste.
1,8 Prozent der Bürger in der Region sind Katholiken
Welches Ansehen die Kunstgeschichtsschreibung einem Ort entgegenbringt, ist das eine, sagt Benediktiner-Pater Maurus Kraß, der Prior des vier Mönche umfassenden Konvents, der sich vom Mutterkloster im oberbayerischen Ettal aus im August 1993 hier niedergelassen hat. Das andere ist die religiöse Relevanz angesichts von heute 1,8 Prozent Katholiken unter den Bürgern, die auf dem Gebiet der Pfarrei Heilig Kreuz leben (sachsenweit: vier Prozent).
Diaspora. Bekenntnisort. „Glaubensinsel“? Die Frage nach Gott ist nach zwei, das Christentum bekämpfenden Diktaturen selten geworden in der Region, das damit verbundene kulturelle Wissen weitgehend verdunstet. Der „Offenheit und Geborgenheit“ lautende Grundsatz der Wechselburger Benediktiner sucht auf beides zu reagieren: einerseits Ort zu sein für Katholiken, um auch in der Minderheit Gemeinschaft zu (er-) leben, sagt Pater Ansgar Orgaß, der mit der Pfarr‑, Notfall- und Polizeiseelsorge in Wechselburg und Umgebung betraut ist. Anderseits geht es darum, eine Situation zu berücksichtigen, in der mehr als drei Viertel der Bewohner des Landstrichs konfessionslos sind. Manche Missionshoffnung hat sich nach 1990 nicht erfüllt: Viele Menschen stoßen in ihrem Alltag nicht mehr auf die Gottesfrage. Der Titel einer jüngst eröffneten Ausstellung zur Geschichte des und zum Leben im Kloster ist mit „Wechselburg entdecken – Gott suchen, wo er nicht vermisst wird“ denkwürdig gewählt.
Die 25-Jahr-Feier der mönchischen Wiederbesiedlung eines der ostdeutschen Biotope des Glaubens fällt nun nicht nur mit Kirchweih- und Gemeindejubiläum zusammen, sondern auch mit der Eröffnung des teils aus dem 15. Jahrhundert stammenden, grundlegend sanierten Torhauses unweit der als Kloster- wie Pfarrkirche genutzten Basilika. „Nach vier Jahren Arbeit haben wir in dem Gebäude Platz für die Ausstellung, dazu acht Ferienwohnungen mit 28 Betten und einen Seminarraum. Hier heißen wir jene willkommen, die entweder zu Einkehrtagen zu uns kommen oder Urlaub machen möchten mit der Möglichkeit, täglich die Heilige Messe mitzufeiern oder das Stundengebet“, so Pater Maurus.
Aus Zschillen wurde Wechselburg
Ebenfalls im Torhaus untergebracht ist der Klosterladen und das Besucherzentrum des Priorats, das nach den Augustiner-Chorherren vom 13. Jahrhundert bis zur Reformation vom Deutschen Orden genutzt wurde. Nach dem Tod Herzog Georgs von Sachsen ging der Komplex mit dazugehörigen Dörfern 1543 in einem Gebietstausch an die Grafen von Schönburg. In der Zeit taucht erstmals statt des ursprünglichen Namens Zschillen „Wechselburg“ auf. Die (damals evangelischen) Schönburger ließen später ein barockes, dreiflügeliges Schloss errichten. Der weithin sichtbare, 1945 enteignete Bau im heutigen Besitz des Landkreises Mittelsachsen steht – obwohl bauliches Bindeglied zwischen Basilika und Benediktinerkloster – leer. Händeringend wird nach einer Nutzung gesucht.
Die Schloss- und vormalige Stiftskirche war bereits im 19. Jahrhundert abermals römisch-katholisch geworden. Graf Carl von Schönburg-Forderglauchau (1832–1898) konvertierte nebst Gattin, einer fränkischen Gräfin, im März 1869 in Rom, was unter seinen lutherischen Standesgenossen in Sachsen für heftige Kontroversen sorgte. Daraufhin hatte er die Kirche restaurieren und umgestalten lassen. 1957 schließlich – die Anzahl der Katholiken hatte sich durch Vertriebene deutlich erhöht – wurde die Basilika Pfarrkirche; schon zuvor hatten Wallfahrten eingesetzt.
Die Grafenfamilie – abgesehen von Franziska von Schönburg, die in Sachsen blieb und in der katholischen Frauenseelsorge tätig war – floh in den Westen. Die Bindung an die einstige Residenz riss aber nicht ab. Wechselburger Bürger berichten noch heute über Besuche von Familienmitgliedern, etwa der jungen Gloria von Thurn und Taxis in den 1980er-Jahren – sie ist eine geborene von Schönburg. Ihr Vater Joachim, ab 1990 in der Region Bundestagsabgeordneter für die CDU, wurde nach seinem Tod 1998 in der Basilika beigesetzt.
Während die einstige Schönburgsche Residenz seit Auszug eines bis 2005 ansässigen Kinderkrankenhauses einer Nutzung harrt, ist das angrenzende Kleine Schloss Kloster sowie Jugend- und Familienhaus der Benediktiner. Bei 50 Betten in jugendherbergsähnlicher Ausstattung zählte Prior Maurus 2017 knapp 10.400 Übernachtungen. Ein Drittel der Gäste sei konfessionslos. Wenn er im 14 Hektar großen Schlosspark spazieren gehe, werde er von denen, die es ihm gleichtun, mitunter gefragt, ob er angesichts seines Ordenshabits „echt“ sei – nicht bloß kostümiert für einen der in der Region oft ausgerichteten Mittelalter-Märkte. Auf diese komme es an: Echtheit – nicht auf die Kleidung reduziert, sondern bezogen auf den ganzen Menschen, Christen, Mönch. „Das ist auch eine Form der Gewissensprüfung“, sagt der 58-Jährige. Nur durch ein authentisches Leben aus Gott könne es gelingen, derart Zeugnis abzulegen, dass Suchende sich angesprochen fühlen. Voraussetzungen dafür seien das Gebet und die Frage: „Leben wir so, dass uns der Herr Berufungen anvertrauen kann?“
Neugierig auf Wechselburg machen soll auch das dichte Festprogramm im Jubiläumsjahr: Vom 1. bis 3. Juni wird mit der Kommune die 850-Jahr-Feier begangen. Am 1. Juni hält der Ettaler Abt Barnabas den Festvortrag, während am Morgen des 3. Juni ein ökumenischer Gottesdienst stattfindet. „Zum Jubiläum ist im Leipziger St.-Benno-Verlag zudem das Büchlein ‚Basilika und Kloster Wechselburg. Ein Wallfahrtsort im Wandel‘ erschienen“, so Pater Maurus.
Über das Juni-Wochenende hinaus geht es im Jubiläumsprogramm weiter: Am 28. August zelebrieren Bischof Heinrich von Dresden-Meißen sowie Abt Barnabas eine Messe in Erinnerung an die Besiedlung vor 25 Jahren, für die Heinrichs Vor-Vorgänger Joachim einst emphatisch in Ettal geworben habe. „Und dies nicht, um im Bistum bloß zwei, drei Pfarrstellen besetzen zu können“, erinnert sich Pater Maurus an den Besuch im Herbst 1992.
Im September dieses Jahres wird zudem nicht nur zum Bistumsjugendtag, sondern auch zu einer Bistumswallfahrt geladen. Am 12. November, dem Weihetag, findet eine Festmesse statt. Schon im Oktober kommen Soldaten der ostdeutschen Bundeswehrstandorte zur Fußwallfahrt. Wenn dann während, zwischen, nach den Jubiläen Ruhe einkehrt im Kloster, sind die Mönche das, was sie zu allen Zeiten waren: stellvertretende Beter vor Gott. Auch für die, die ihn nicht vermissen.
Gabriel Heuser/Maurus Kraß u.a.: Basilika und Kloster Wechselburg. Ein Wallfahrtsort im Wandel. Geschichte und Spiritualität, St.-Benno-Verlag, Leipzig 2018, 96 Seiten, 12,95 Euro.