Artur Henne hat zwischen den Weltkriegen zu den bekanntesten Radierern Sachsens gezählt. Während die Ansichten aus dem Osten des Freistaats von dem in seiner Wahlheimat Liebstadt vor 60 Jahren verstorbenen Künstler nach wie vor präsent sind, gilt es, jene um Penig, Rochlitz oder Augustusburg entstandenen erst wiederzuentdecken.
ROCHLITZ/KRIEBSTEIN. Vor knapp 20 Jahren, zum 40. Todestag, ist dem Künstler Artur Henne in Liebstadt eine Ausstellung gewidmet worden: in der kleinsten Stadt Sachsens, 15 Kilometer südwestlich von Pirna. 1945 war der idyllische Ort, über dem Schloss Kuckuckstein thront, endgültig Hennes Wahlheimat geworden und blieb es bis zu dessen Tod am 19. Februar 1963. Wohnung und Werkstatt in Dresden mit großen Teilen seines malerischen und druckgraphischen Schaffens, darunter rund 700 Radierplatten, sind am 13. Februar beim Bombenangriff verloren gegangen. An seinem 58. Geburtstag.
Seine gewaltige Graphikfolge zu Sachsen, Thüringen und Franken – 141 Motive sind bekannt – hatte er rund 20 Jahre vorher geschaffen. Eine Radebeuler Buchhandlung, die sich seinem Werk besonders verpflichtet sieht, verwahrt eine Werkliste, dazu viele Dutzend Arbeiten. „Schon mein Vater hat sich mit Artur Henne beschäftigt und einen umfangreichen Bestand für unser Antiquariat angekauft“, sagt Inhaberin Ute Sauermann. Sie gewährt Einblicke in Dutzende Blätter, das Gros auf Bütten‑, dazu Vorzugsausgaben auf Japanpapier.
Licht und Schatten sind auf den Hoch- wie Querformaten meisterlich komponiert, dazu Geländestufen und Gebäude unzähliger Orte zwischen Kloster Banz am Obermain und Oybin im Zittauer Gebirge. Auffällig oft finden sich mittelsächsische Motive darunter: Darstellungen von Schloss Augustusburg etwa, der Ruine Frauenstein, von Burg Kriebstein, Mildenstein in Leisnig, von Penig, Reinsberg und Rochlitz, Rochsburg oder Wechselburg mit Schloss und St.-Otto-Kirche. Der Künstler zeigte vorrangig alte, weit über die Umgebung hinaus bekannte Kulturlandschaft.
Auch auf Postkartenserien, so Sauermann, wurden Stücke gedruckt. Gekonnt greifen große wie kleine Formate die im 19. Jahrhundert aufgekommene und nicht mehr abgerissene Mittelalterbegeisterung auf. Oft gewürdigt wurde Hennes Gabe, Vegetation zu zeigen: Wie hingetupft wirkt das Laub. Das Astwerk steht unter Spannung, als führe Wind hindurch. Der Kunsthistoriker Hans W. Singer (1867–1957) diagnostizierte 1928 „überaus feines Stilgefühl“. Und: „Denn es ist immer das Ungequälte, das sich von selbst Ergebende, das sich auf die Dauer in der Kunst hält.“ Der gebürtige Rochlitzer und Künstlerkollege Georg Gelbke (1882–1947), selbst ein Meister der Radierung, sah 1936 bei Henne „unsagbar feine[n] Duft über den Weiten ausgebreitet und die Sehnsucht und Freude an der Schönheit“ von Natur und Kultur.
Zur Lebensmitte war der gebürtige Dresdner ein Anerkannter seines Fachs und gehörte zu den bedeutendsten Radierern Sachsens. Seine Werke zählen zum Bestand der Kupferstichkabinette Berlins, Dresdens, Londons, von Paris – um nur die namhaftesten zu nennen. Wer nicht so weit reisen möchte, kann drei seiner Radierungen in der Galerie Dippoldiswalde betrachten: Ansichten vom örtlichen Schloss, von Frauenstein und Liebstadt. Sie illustrieren Hennes Schule unter bedeutenden Lehrern: dem Theatermaler Ermenegildo A. Donadini oder Oskar Seyffert, dem Begründer des Dresdner Volkskunstmuseums. Das Radieren indes, jene aufwendige Kunst, bei der das Motiv mit einer Nadel aus härtestem Stahl in eine Metallplatte gekratzt wird, brachte er sich selbst bei. Der Kunsthistoriker Gert Claußnitzer rechnete ihn 1997 stilistisch einem spätimpressionistischen, lyrischen Realismus zu.
Seiner Herkunft nach durch Nähe zu Adel und Bildungsbürgertum begünstigt – der Vater Hofbeamter in Dresden, die Mutter aus dem schweizerischen Emmental –, hatte Henne die Kunstakademie absolviert und war Eugen Brachts Meisterschüler. Dass er bei einem namhaften Landschaftsmaler gelernt hat, zeigt das Blatt von Burg Kriebstein. Majestätisch präsidieren die Steinmassen über der Zschopau. Manches Fenster scheint zu zwinkern, so anschaulich hat es der Künstler neben verdunkelten illuminiert. Schloss Rochlitz wiederum spiegelt sich im friedlich dahingehenden Wasser der Zwickauer Mulde. Bloß zaghaft ist es aus der Ruhe gebracht, als tanzten von Kindern geworfene Kiesel darüber.
Auch wenn Hennes Blätter durchweg künstlerisch angelegt wurden, also nicht nur Gebäude oder Landschaft abbilden, taugen sie zu dokumentarischen Zwecken; das Oschatz-Blatt zeigt es eindrücklich mit Marktkarren und Automobilen. Die Arbeiten halten fest, wie sich die Orte vor rund 100 Jahren darboten und sind so auch Zeugnisse regionaler Kulturgeschichte.