„Ich mache weiter, solange ich kann.“ Zum 75. Geburtstag des Dresdener Antiquars Claus Kunze

Im Laden­ge­schäft, Pill­nit­zer Land­stra­ße 18: Claus Kun­ze im Novem­ber 2022. Foto: M. Kunze

DRESDEN. Im Herbst des Jah­res 1990, noch vor der Deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung, war es so weit: Claus Kun­ze konn­te im Dres­de­ner Stadt­teil Losch­witz sein Anti­qua­ri­at eröff­nen. End­lich! End­lich des­halb, hat­te er doch jah­re­lang immer wie­der ver­geb­lich beim Rat der Stadt, Abtei­lung Han­del und Ver­sor­gung, einen Gewer­be­schein bean­tragt. „Man woll­te in der DDR kei­ne pri­va­te Kon­kur­renz für die in der Mehr­zahl staat­lich orga­ni­sier­ten Betrie­be; das war im Volks­buch­han­del so wie anders­wo“, sagt Kun­ze in der Rück­schau. Am 6. Novem­ber ist das Urge­stein der Bran­che an der Ober­el­be 75 Jah­re alt geworden.

In den vier über­sicht­lich ein­ge­rich­te­ten Räu­men an der Pill­nit­zer Land­stra­ße 18 führt der gebür­ti­ge Löbau­er sein auf Bel­le­tris­tik, Kunst‑, Literatur‑, all­ge­mei­ne Geschich­te sowie Saxo­ni­ca und Gra­phik spe­zia­li­sier­tes Geschäft seit dem Jahr 1996. Wer es betritt, trifft auf einen gast­freund­li­chen, wiss­be­gie­ri­gen und über Geschich­te und Kul­tur der Stadt sel­ten kun­di­gen Inha­ber, mit dem sich – auch dank sei­ner umfas­sen­den Hand­bi­blio­thek – ein­tau­chen lässt in die Welt der Bücher, ihre Her­stel­lung und die Autoren. Ziel­si­cher zieht er schließ­lich und ohne Com­pu­ter­hil­fe aus sei­nem, sich nach wie vor ent­wi­ckeln­dem Sor­ti­ment Passendes. 

Bis zum Bezug des Ladens befand sich der Ver­kaufs­raum weni­ge Häu­ser stadt­ein­wärts, im Pfarr­amt der luthe­ri­schen Kirch­ge­mein­de. Die ers­ten sechs Mona­te Selbst­stän­dig­keit meis­ter­te er gar in der Woh­nung sei­nes Fünf-Per­so­nen-Haus­hal­tes, zu dem eine sei­ner­zeit bald hun­dert­jäh­ri­ge ost­preu­ßi­sche Tan­te gehörte.

Wäh­rend er die 30-Jahr-Fei­er sei­nes Anti­qua­ri­ats vor zwei Jah­ren mit Stamm­kun­den aus­gie­big fei­er­te, ließ er es zum Geburts­tag hier still ange­hen. Für einen Plausch zum Pfeif­chen ist den­noch Zeit, zu dem er gern in sei­nem offe­nen Büro mit Steh­pult und zwei Sitz­ge­le­gen­hei­ten bit­tet. Einen Schreib­tisch hin­ge­gen sucht man vergeblich.

Zum eige­nen Laden kam Kun­ze, der sei­ne Kind­heit in Baut­zen ver­brach­te, auf Umwe­gen. Am Anfang stand eine Leh­re zum Kraft­fahr­zeug­schlos­ser. Immer­hin zehn Jah­re arbei­te­te er in dem ihm nicht son­der­lich lie­ben Beruf, bevor er, durch Freun­de und Bekann­te ange­regt, in den Kunst­sa­lon am Dresd­ner Alt­markt wech­seln konn­te. Nicht nur Kunst und Bücher stan­den in der DDR hoch im Kurs. Vor dem Kauf­haus in der Nähe erleb­te er regel­mä­ßig lan­ge Kun­den­schlan­gen, dazu mit­un­ter schwe­res Geran­gel, das von der Poli­zei wenig zim­per­lich geord­net wur­de, etwa wenn pro­mi­nen­te west­li­che Musi­ker eine neue Schall­plat­te auf den Markt brach­ten und die Nach­fra­ge das Ange­bot weit über­stieg. Das Rin­gen um in der DDR kon­tin­gen­tier­te Ware offen­bar­te lan­ge vor dem Unter­gang des Staa­tes Man­gel­wirt­schaft und Verfall.

Kun­ze gelang 1980 der Wech­sel ins staat­lich ver­wal­te­te Dres­de­ner Anti­qua­ri­at, damals ansäs­sig an der Bautz­ner Stra­ße 27. Er absol­vier­te eine Aus­bil­dung zum Buch­händ­ler, „eine wun­der­ba­re Lehr­zeit“. Auch hier zeig­ten sich indes die Kon­se­quen­zen der poli­tisch-öko­no­mi­schen Umstän­de: „Im volks­ei­ge­nen Anti­qua­ri­at“, schil­der­te er sie 1990 zur Geschäfts­er­öff­nung in einer Lokal­zei­tung, „waren vor allem Export­plä­ne zu erfül­len. Die Bücher wur­den zuerst in Über­see ange­bo­ten, dann in West­eu­ro­pa, zuletzt im Inland.“ Aus­ver­kauf – Rari­tä­ten schwan­den nach und nach aus hei­mi­schen Rega­len, nur weni­ges gelang­te von außen her­ein. Den­noch schätz­te er sei­ne Arbeit (inbe­grif­fen zahl­lo­se Lese‑, Kul­tur- und Kunst­er­leb­nis­se) und sei­nen Chef Wolf­gang Lange.

Als die­ser aus dem Haus gedrängt wor­den war, begann Kun­ze nach einer Alter­na­ti­ve zu suchen. Er kün­dig­te 1985 und ging in eine der weni­gen Nischen, die sich boten: in den Kirch­li­chen Kunst­ver­lag in Dres­den-Bla­se­witz. „Boten­gän­ger war ich nun, Kraft­fah­rer, Mäd­chen für alles“, sagt Kun­ze, „und ich habe dar­auf gewar­tet, dass Schluss ist.“ Mit der DDR. Als der Unmut anschwoll, nahm auch er mit sei­ner Frau an den Demons­tra­tio­nen vom Herbst 1989 teil, wäh­rend die Tan­te zu Hau­se die Kin­der hüte­te. Spä­ter war er in Dres­den ehren­amt­lich in einem Ver­ein an der Auf­lö­sung der Sta­si beteiligt.

Es waren wich­ti­ge, bewe­gen­de Jah­re. Die poli­ti­sche Öff­nung, die sie brach­ten, bescher­ten ihm innert weni­ger Tage den ersehn­ten Gewer­be­schein. Vom Elb­hang gelang­ten in den Neun­zi­gern unzäh­li­ge Pri­vat­bi­blio­the­ken auf den Markt; die Kund­schaft freu­te es. Kun­ze war in den mehr als 32 Jah­ren viel­leicht an fünf Tagen krank, sagt er und: „Ich mache wei­ter, solan­ge ich kann.“

Kommt er auf sei­ne Lieb­lin­ge der öster­rei­chi­schen Lite­ra­tur zu spre­chen, allen vor­an Joseph Roth, leuch­ten sei­ne Augen wie die eines Kin­des. Das Herz des Biblio­phi­len schlägt; Woche für Woche steht er in sei­nem Laden. Ad mul­tos annos! (zusam­men mit Udo Geith­ner)

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