Wenig bekannt ist das Dresdener Kraszewski-Museum. Dabei erinnert es an einen der produktivsten Schriftsteller aller Zeiten, viele andere – und taugt auch als Begegnungsort.
DRESDEN. Als grünes Refugium, noch im Herbst, liegt es in der Großstadt: das einstige Anwesen des polnischen Schriftstellers Józef Ignacy Kraszewski (1812–1887). Von 1873 bis 1879 lebte der produktivste Autor des Nachbarlandes – er hinterließ allein mehr als 220 Romane – in dem spätklassizistischen Landhaus am Prießnitz-Ufer im früheren Preußischen Viertel der sächsischen Landeshauptstadt. Büsche, Hecken, Bäume und an der Fassade sich hinaufrankendes Geäst verdecken von der Straße aus beinahe den Blick auf das zurückgesetzte, nicht sonderlich große Gebäude im Schweizer Stil, in dem sich seit 1960 ein Museum zu Ehren des vormaligen Besitzers befindet.
Bald 100 Jahre früher, 1863, war er in Dresden angelangt – in der Hoffnung, es würde ein Aufenthalt weniger Monate. Der Weitgereiste aus wenig begütertem polnischen Adel, der in Wilna einige Zeit Medizin und Philosophie studiert hatte, kannte die Stadt von einem Zwischenstopp fünf Jahre zuvor, auf dem Weg nach Westeuropa. Nun hatte er Warschau, seine Geburtsstadt fern der Heimat im damaligen Ostpolen, während des gegen die Teilung des Landes gerichteten Januar-Aufstands verlassen müssen und entging damit der Verbannung nach Sibirien. „Man hat mir deutlich zu verstehen gegeben“, schrieb er in einem Brief vom Februar des Jahres, „dass, falls ich nicht in den Westen zu reisen wünschte, man mir eine Reise in den Osten erleichtern würde.“ Kraszewski blieb an der Elbe, wo er aus Angst vor „Insurgenten“ von der Polizei überwacht wurde, für 21 Jahre – trotz Plänen, nach Frankreich weiterzuziehen. 1866 erhielt er die österreichische, später die sächsische Staatsbürgerschaft. Nirgends sonst hat er länger gelebt als in Dresden. Seine polnische Identität gab er gleichwohl nicht preis – im Gegenteil, bekannte aber: „Die uns mit Sachsen seit alters her verbindenden Beziehungen ließen Dresden zu einem Unterschlupf, einer Herberge und Heimstatt für viele werden, denen die eigene Heimat nunmehr verschlossen wurde oder keine Lebensmöglichkeiten mehr bot. Wer von den Leidenden und Heimatlosen kam nicht durch Dresden? Wer fand nicht Aufnahme im ‚Goldenen Engel‘, im ‚Polnischen Hof‘ und im ‚Hotel de Saxe‘?“, notierte er in „Schlaflose Nächte“. Dresden rangierte nach Paris im 19. Jahrhundert auf Rang zwei unter den Exilstädten der Polen westlich ihrer Heimat.
Schon bei früheren Aufständen und der Verfolgung ihrer Befürworter fanden zahlreiche Studenten, Liberale, Revolutionäre in Sachsen Unterschlupf. Zensur und Unterdrückung, besonders in Russisch-Polen, ließen ihnen kaum eine Wahl, sollte ihr Streben nach nationaler Selbstbestimmung nicht in Gefängnis oder Lager enden.
Sachsen taugte als Auffangstation vor allem durch geografische Nähe. Auch wenn nach der Sächsisch-Polnischen Union (1697–1763) und dem wettinischen Intermezzo im Herzogtum Warschau von Napoleons Gnaden (1807–1815) mancher Keil zwischen beiden Völkern klemmte, hatte man auch gute Erinnerungen, Netzwerke, geteilte Erfahrungen, an die sich anschließen ließ.
Für Kraszewski wurden die Dresdener Jahre überaus schöpferische. Dutzende Bände, vor allem historische Romane, darunter die „Sachsentrilogie“, Reiseberichte, Feuilletons hat er hier zu Papier gebracht, viele davon in eigener Druckerei herstellen lassen, die er in Posen gekauft und überführt hatte. Er gab Zeitschriften heraus, malte.
Bei dem Dresdener Museum handelt es sich um den einzigen polnischen Ausstellungsort in Deutschland, ein Gemeinschaftsprojekt des örtlichen Stadtmuseums mit dem Adam-Mickiewicz-Museum in Warschau – nicht von ungefähr, denn der Nationaldichter Mickiewicz (1798–1855) hat in Dresden 1832 den dritten Teil seines Dramas „Die Ahnenfeier“ (auch „Die Totenfeier“) verfasst. Für viele Polen war die Elbestadt im 19. Jahrhundert Fluchtziel, Begegnungs- und Musenort. So weilte 1829 der Komponist Frédéric Chopin in der Stadt, besuchte Baudenkmäler, Gemäldegalerie, eine „Faust“-Aufführung; dreimal kehrte er zurück, fuhr auch nach Leipzig, wo er mit Robert und Clara Schumann Bekanntschaft schloss. Spuren dieser Zeit lassen sich auf dem Alten Katholischen Friedhof ausmachen, der einst als „polnischer Friedhof“ bekannt gewesen ist.
Die neben politischem auf persönlichem Austausch gründenden Beziehungen zwischen Polen und Sachsen waren vielfältig, Chopins Begegnung mit den Schumanns hatte Felix Mendelssohn Bartholdy angebahnt – und in diesem Museum lassen sie sich, wie nirgends sonst in Deutschland, vor allem für das 18. und 19. Jahrhundert studieren: anhand von Dokumenten, Handschriften, Büchern, Fotografien, Gemälden, Graphik.
Mag sein, dass die Konzeption etwas textlastig daherkommt. Dennoch! Es ist eine Freude, sich durch die Zitatsammlungen mit viel Zeitkolorit zu arbeiten. Ohne Ausdauer geht es nicht. Damit indes lassen sich in dem kleinen, an originalen Ausstattungsstücken eher armen Hause über beide Etagen zwei, zweieinhalb Stunden leicht zubringen. Es wird nicht langweilig. Wir haben die unsern an einem Wochenendnachmittag mit der liebenswürdigen Aufsicht ganz allein verbracht. Und fragten uns: warum? Bevor die Gedanken darüber trübe wurden, ging der Blick in den Garten, wie ihn Kraszewski einst genossen haben wird.
Im Osten Deutschlands ist der Schriftsteller noch immer für ebenjene Trilogie berühmt: die in den 1870er-Jahren geschriebenen Barockzeit-Romane „Gräfin Cosel“, „Brühl“ und „Aus dem Siebenjährigen Krieg“. Zusammen mit der die vorgeschichtlichen Anfänge Polens rekapitulierenden Erzählung „Eine alte Mär“ (1875) sind es seine meistgelesenen. Die aufwendige sechsteilige, in der DDR produzierte und 1985 erstmals ausgestrahlte Verfilmung der ersten drei Bücher unter dem Titel „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ mit Rolf Hoppe als August III. oder Leander Haußmann als dem Grafen Brühl hat Kraszewskis Bekanntheit weiter gesteigert. Zahlreiche seiner Werke sind ins Deutsche übersetzt worden, manche noch nach 1990.
Er war ein Homo politicus, ergriff Partei für die polnischen Unabhängigkeitskämpfer (so in „Das Kind der Altstadt“, 1863). Anders aber als sein schottischer Schriftstellerkollege Walter Scott lehnte er sensationsheischende Fiktion ab, plädierte für Quellentreue und eine kritische Perspektive gegenüber der Geschichte, auch wenn seine Romane den Erkenntnissen historiographischer Studien vielfach nicht standhalten. Aber das müssen sie auch nicht. Das Zeitbild, das er zu zeichnen suchte, schildert plausibel den Niedergang des polnischen Adels. Mit Kritik an konservativen Klerikern hielt er nicht hinterm Berg, auch am Unfehlbarkeitsdogma. Er setzte für eine polnische Erneuerung auf Bürgertum, Handwerker und Intellektuelle.
Stilistisch anfangs unter dem Einfluss Lawrence Sternes und von E.T.A. Hoffmanns romantischer Phantastik stehend, gab er seinem Werk später „gleichermaßen … romantische und realistische Züge“ (Elżbieta Szymańska). Dabei war er viel mehr als ein Romancier: auch Dichter, Dramaturg und Theaterdirektor, Musik- und Literaturkritiker, Publizist und Journalist, Herausgeber, (Chef-) Redakteur, (Kunst-) Historiker, kurz: eine öffentliche Person, in Polen wie Sachsen und darüber hinaus. Sein Umzug an die Elbe hinderte ihn nicht daran, auf Reisen in die Heimat zurückzukehren, auch wenn er bis zu seinem Tode während eines Erholungsurlaubs in Genf dort nicht mehr dauerhaft Wohnung nahm.
Verhindert hat dies auch ein gehöriger Skandal im Jahre 1883, der sein Ansehen beschädigte. Aus polnisch-patriotischen Motiven der Spionage für Frankreich bezichtigt, war er in Berlin auf Betreiben Otto von Bismarcks verhaftet und in Leipzig vor dem Reichsgericht zu dreieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt worden, die er angesichts angeschlagener Gesundheit nicht vollständig verbüßen musste. Verstorben an seinem Namenstag, wurde er in der Krakauer „Krypta der Verdienten“ im Paulinen-Kloster mit großer Anteilnahme beigesetzt.