Am Schnittpunkt von Raum und Zeit

Die Por­te Noi­re, unter­halb der Kathe­dra­le von Besan­çon über einer schma­len Stra­ße auf­ra­gend, wur­de im Jah­re 175 unter Kai­ser Marc Aurel errich­tet. Foto: Micha­el Kunze

Kel­ti­schen Ursprungs, war Besan­çon lan­ge Zeit römisch, spä­ter reichs­un­mit­tel­bar und liegt für vie­le deut­sche Rei­sen­de doch nur am Weg gen Süden. Dabei hat die Stadt Auf­merk­sam­keit verdient.

Als der Kul­tur­his­to­ri­ker Wil­helm Hau­sen­stein 1927 schrieb, sie lebe nach drei Sei­ten – der römi­schen, der deut­schen und der fran­zö­si­schen –, war ihr alter Name Bis­anz noch ein Begriff. Heu­te wird man das nicht mehr behaup­ten kön­nen. Geblie­ben ist das „sum­men­de, dunk­le Besan­çon, das nach fran­zö­si­schem Rot­wein zu schme­cken schien“, Haupt­stadt der Fran­che-Com­té im Osten des Lan­des. Hau­sen­stein nahm den Bericht über sei­nen Besuch auf in den Band „Rei­se in Südfrankreich“.

Weit­hin aus in der Regi­on ver­brei­te­tem grau-blau­en Kalk­stein gemau­ert, liegt die beleb­te Alt­stadt orga­nisch gewach­sen vor dem Betrach­ter. Sie wirkt, wären die Tem­pe­ra­tu­ren nied­ri­ger, eher atlan­tisch-kühl, ruht in schlich­ter Ele­ganz – hin­ein­ge­fügt als Genera­tio­nen-Werk in eine bei­na­he zuge­bun­de­ne Schlei­fe des kris­tall­kla­ren Flüss­chens Doubs. Wo jene Win­dung nach Süd­os­ten hin offen­ge­blie­ben ist, steigt ein von der gewal­ti­gen Zita­del­le bekrön­ter Fels­ke­gel auf. Hier harr­te im Jah­re 1870 der Schrift­stel­ler Theo­dor Fon­ta­ne (1819–1898) für eini­ge Wochen sei­nes Schick­sals. Als Kriegs­be­richt­erstat­ter war er im Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg an die Front ent­sandt und gefan­gen­ge­nom­men wor­den – ob sei­ner Sprach­kennt­nis­se und Auf­zeich­nun­gen unter Spionageverdacht.

Die Fes­tung, die des Son­nen­kö­nigs Feld­herr und Bau­meis­ter Vauban erson­nen hat, galt mit Sedan als wich­ti­ger Anker fran­zö­si­scher Ver­tei­di­gung gen Osten. Im Mit­tel­al­ter freie Reichs­stadt, von Kai­ser Karl V. geför­dert, wech­sel­te sie viel­fach die Zuge­hö­rig­keit. Die Ursprün­ge kel­tisch, geriet Besan­çon durch Juli­us Cae­sar unter die Fit­ti­che Roms. Er erhob das Veson­tio gehei­ße­ne Oppi­dum zur Haupt­stadt der Pro­vinz Maxi­ma Sequano­rum. Stra­te­gisch güns­tig gele­gen, wuchs sie beträcht­lich und wur­de im zwei­ten Jahr­hun­dert Bischofs‑, im vier­ten Erz­bi­schofs­sitz. Schon in römi­scher Zeit war die heu­ti­ge Gran­de Rue, jene lang­ge­streck­te Dia­go­na­le zwi­schen Pont Bat­tant im Nord­wes­ten und Kathe­dra­le im Süd­os­ten, Haupt­stra­ße. Doch im Stadt­bild erin­nert wenig an die anti­ke Ver­gan­gen­heit. Die­se fin­det, wer sich in das weni­ge Hun­dert Meter von der Gran­de Rue ent­fern­te, vor­züg­lich sanier­te und 2018 von Prä­si­dent Macron wie­der­eröff­ne­te Muse­um der Schö­nen Küns­te und der Archäo­lo­gie am Patz der Revo­lu­ti­on begibt. Gegrün­det 1694, ist es knapp 100 Jah­re älter als der Pari­ser Louvre.

Vic­tor Hugos Geburts­haus, 140 Gran­de Rue. Lan­ge hat die Fami­lie hier nicht gelebt. Foto: Micha­el Kunze

Wer die Haupt­stra­ße nach Süd­os­ten abschrei­tet, gelangt zum im Innern wenig sehens­wer­ten Geburts­haus Vic­tor Hugos (1802–1885). Die ursprüng­li­che Aus­stat­tung ist ver­lo­ren. Die Aus­stel­lung ver­sucht das mit tech­ni­scher Ani­ma­ti­on zu kom­pen­sie­ren, für uns wenig glück­lich. Nütz­li­cher ist es, eines der Bücher des Autors der „Elen­den“ oder des „Glöck­ners von Not­re-Dame“ zur Hand zu neh­men. Die Fami­lie zog bald nach der Geburt fort, Hugo kehr­te nie zurück. Am Platz vor dem Haus ste­hen wir bereits wie Fon­ta­ne am Anfang des sich in Ser­pen­ti­nen win­den­den Auf­stiegs zur Zita­del­le, den er in sei­nem Band „Kriegs­ge­fan­gen. Erleb­tes 1870“ fest­ge­hal­ten hat. Besan­çon, so schrieb er, „macht einen sehr guten Ein­druck, wohl … des­halb, weil [es] einen bestimm­ten Cha­rak­ter, ein Gesicht für sich hat“. Zu Fuß durch­maß er die Stadt, trotz miss­li­cher Lage unter Bewa­chung: mit bemer­kens­wer­ter Wach­heit – und Sym­pa­thie. „Er liebt ja die Fran­zo­sen“, hieß es hier­zu­lan­de über den Spross einer Huge­not­ten­fa­mi­lie. Es war nicht als Kom­pli­ment gemeint.

Wie Fon­ta­ne, dem schließ­lich kein Pro­zess gemacht wur­de, und Hau­sen­stein neh­men wir den Anstieg, las­sen lin­ker Hand einen klei­nen Park mit korin­thi­schen Säu­len aus gal­lo-römi­scher Zeit lie­gen, in dem eine in der Revo­lu­ti­on zer­stör­te Kir­che stand, bis wir, vor­bei am eins­ti­gen erz­bi­schöf­li­chen Palais, vor der Por­te Noi­re, dem Schwar­zen Tor ste­hen. Einst ein Tri­umph­bo­gen, errich­tet im Jah­re 175 zu Ehren Kai­ser Marc Aurels, stellt es das berühm­tes­te Relikt aus anti­ker Zeit in der Stadt dar. Eine schma­le Stra­ße führt unter dem Bogen hin­durch, des­sen vor­dem frei­ste­hen­de Pfei­ler üppig mit nun ver­wa­sche­nen Sze­nen geschmückt sind, die an die Ein­nah­me der Par­ther­stadt Seleu­kia-Kte­si­phon (heu­te Irak) im Jah­re 165 erinnern.

Schwarz ist das Bau­werk nicht mehr, der Ein­druck den­noch ein blei­ben­der. Es strahlt gro­ße Ruhe aus, war ursprüng­lich 15,50 Meter hoch. Heu­te ist es wegen der Boden­auf­schüt­tun­gen über die Jahr­hun­der­te ein Meter weni­ger. Dahin­ter erhebt sich das Johan­nes­müns­ter, die Kathe­dral-Basi­li­ka mit Dop­pel­ch­or­an­la­ge, her­vor­ge­gan­gen aus zwei im Mit­tel­al­ter ver­bun­de­nen Kir­chen. Schä­den durch einen Erd­rutsch im Jah­re 1729 erklä­ren das baro­cke, zur Stadt hin wei­sen­de Por­tal unweit der eben­falls neu­errich­te­ten Ost­ap­sis und den Stil des Tur­mes. Sie ent­stan­den nach dem Unglück. Als beson­ders sehens­wert darf neben der sanie­rungs­be­dürf­ti­gen Astro­no­mi­schen Uhr mit sieb­zig Zif­fern­blät­tern ein im Jah­re 1050 von Papst Leo IX. geweih­ter Schei­ben­al­tar gel­ten, der als Johan­nis­ro­se bezeich­net wird. Er befin­det sich in einer der süd­li­chen Kapel­len. Die Pie­tà des flä­mi­schen Renais­sance­bild­hau­ers Con­rat Meit ist der­zeit nicht an ihrem Platz, offen­bar aus kon­ser­va­to­ri­schen Grün­den. Das Got­tes­haus über eine Stie­ge im Turm ver­las­send, die am Zugang zur Uhr vor­bei­führt, wan­dern wir zur Zita­del­le, von deren vor­de­ren Mau­ern sich, ohne Ein­tritt in die inne­ren Anla­gen lösen zu müs­sen, inter­es­san­te Bli­cke zur Stadt hin bie­ten. Auf dem Gelän­de wird an ein düs­te­res Kapi­tel erin­nert: die Erschie­ßung von Wider­stands­kämp­fern wäh­rend der deut­schen Besat­zung im Zwei­ten Welt­krieg, dar­über hin­aus die Depor­ta­ti­on der Juden. Die Geschich­te ihrer ört­li­chen Gemein­de reicht bis ins Mit­tel­al­ter zurück. Vor­über­ge­hend ver­trie­ben, kehr­te sie nach der Revo­lu­ti­on zurück und leg­te 1796 einen Fried­hof an. Lan­ge Zeit zähl­te sie um die 700 Gläu­bi­ge, wuchs in den 1960er-Jah­ren jedoch bei­na­he auf das Drei­fa­che, als aus Nord­afri­ka zahl­rei­che Juden zuwan­der­ten. Die Syn­ago­ge im mau­ri­schen Stil, direkt am Doub­s­ufer gele­gen, wur­de 1869/70 errichtet.

Die Syn­ago­ge am Ufer des Doubs. Foto: Micha­el Kunze

Auf dem Weg zurück in die Alt­stadt bie­gen wir vor der Kathe­dra­le zu einem ehe­ma­li­gen Kla­ris­sen­klos­ter ab, in dem nun ein Hotel und ein Restau­rant unter­ge­bracht sind: „Le Sau­va­ge“. Wir las­sen uns eine vor­züg­li­che kal­te Erb­sen­sup­pe ser­vie­ren, danach Geflü­gel, fran­zö­si­schen Wein, mit dem auch Hau­sen­stein zufrie­den gewe­sen wäre, schließ­lich ein Apri­ko­sen-Des­sert – und sind, dank­bar von der Ter­ras­se in die Abend­son­ne blin­zelnd, selig.

Besan­çon jedoch gibt mehr Zie­le auf, als sich an einem Tag bewäl­ti­gen lie­ßen. So machen wir uns andern­tags auf an das Ufer des Doubs, ent­lang des­sen sich im gesam­ten Stadt­ge­biet spa­zie­ren lässt. Wir bestau­nen den Fisch­reich­tum und unzäh­li­ge, emsig geschäf­ti­ge Nut­ri­as, schwim­men­de Nage­tie­re, die an eine Kreu­zung von Biber und Bisam­rat­te den­ken las­sen. Weni­ge Meter von der Pont Bat­tant ent­fernt, lässt sich über einen Stich durch die Ufer­be­bau­ung in nur weni­gen Schrit­ten auf den Revo­lu­ti­ons­platz gelan­gen. Wir besu­chen das Muse­um der Schö­nen Küns­te, für das sich auch eili­ge Besu­cher zwei Stun­den Zeit neh­men soll­ten. In der Anti­ken-Samm­lung führt kein Weg vor­bei am bron­ze­nen, drei­fach gehörn­ten Stier von Avri­g­ney, einem Kult­ob­jekt aus dem 1. oder 2. Jahr­hun­dert. Das Haus führt auch eine ägyp­ti­sche Samm­lung. Uns aber impo­niert beson­ders jene der Gemäl­de. Cour­bet ist in sei­ner Hei­mat aus­gie­big ver­tre­ten, über­haupt das 19. Jahr­hun­dert, Ing­res, Renoir, dazu vor­züg­li­che älte­re Stü­cke der Gen­re­ma­le­rei, Bron­zi­nos „Bewei­nung Chris­ti“, bei­de Cra­nachs, die Moder­ne auch mit Picas­so. Am nach­hal­tigs­ten währt der Ein­druck von Dan­tes Höl­len­vi­si­on, des neun­ten Krei­ses, wie sie Gust­ave Cour­tois (1852–1923) inter­pre­tiert hat. Wir sit­zen lan­ge vor dem Gemäl­de von 1879.

Her­aus aus dem Muse­um, schlägt unse­rer Ergrif­fen­heit der woh­lig-war­me Som­mer ent­ge­gen. Wir grü­ßen ihn freu­dig und gehen doch stil­le hin­über zu der wei­ten Place Gran­vel­le, benannt nach dem anlie­gen­den Renais­sance-Palais mit präch­ti­gem Innen­hof, das Karls V. Kanz­ler im 16. Jahr­hun­dert errich­ten ließ. In dem Palast ist seit reich­lich zwan­zig Jah­ren das Muse­um der Zeit unter­ge­bracht. Es erin­nert an die gro­ße Geschich­te der Uhren­in­dus­trie Besan­çons. Da die Ewig­keit, hier die Zeit – ein Memen­to? Wir tre­ten aus dem Hof an den Platz, auf dem sich ein Kon­zert­pa­vil­lon erhebt; Musik dringt her­über. Ein Dut­zend Paa­re tanzt zu Klän­gen aus der Kon­ser­ve in den Som­mer­abend hin­ein; ver­son­nen schau­en wir ihnen zu.

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