Keltischen Ursprungs, war Besançon lange Zeit römisch, später reichsunmittelbar und liegt für viele deutsche Reisende doch nur am Weg gen Süden. Dabei hat die Stadt Aufmerksamkeit verdient.
Als der Kulturhistoriker Wilhelm Hausenstein 1927 schrieb, sie lebe nach drei Seiten – der römischen, der deutschen und der französischen –, war ihr alter Name Bisanz noch ein Begriff. Heute wird man das nicht mehr behaupten können. Geblieben ist das „summende, dunkle Besançon, das nach französischem Rotwein zu schmecken schien“, Hauptstadt der Franche-Comté im Osten des Landes. Hausenstein nahm den Bericht über seinen Besuch auf in den Band „Reise in Südfrankreich“.
Weithin aus in der Region verbreitetem grau-blauen Kalkstein gemauert, liegt die belebte Altstadt organisch gewachsen vor dem Betrachter. Sie wirkt, wären die Temperaturen niedriger, eher atlantisch-kühl, ruht in schlichter Eleganz – hineingefügt als Generationen-Werk in eine beinahe zugebundene Schleife des kristallklaren Flüsschens Doubs. Wo jene Windung nach Südosten hin offengeblieben ist, steigt ein von der gewaltigen Zitadelle bekrönter Felskegel auf. Hier harrte im Jahre 1870 der Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898) für einige Wochen seines Schicksals. Als Kriegsberichterstatter war er im Deutsch-Französischen Krieg an die Front entsandt und gefangengenommen worden – ob seiner Sprachkenntnisse und Aufzeichnungen unter Spionageverdacht.
Die Festung, die des Sonnenkönigs Feldherr und Baumeister Vauban ersonnen hat, galt mit Sedan als wichtiger Anker französischer Verteidigung gen Osten. Im Mittelalter freie Reichsstadt, von Kaiser Karl V. gefördert, wechselte sie vielfach die Zugehörigkeit. Die Ursprünge keltisch, geriet Besançon durch Julius Caesar unter die Fittiche Roms. Er erhob das Vesontio geheißene Oppidum zur Hauptstadt der Provinz Maxima Sequanorum. Strategisch günstig gelegen, wuchs sie beträchtlich und wurde im zweiten Jahrhundert Bischofs‑, im vierten Erzbischofssitz. Schon in römischer Zeit war die heutige Grande Rue, jene langgestreckte Diagonale zwischen Pont Battant im Nordwesten und Kathedrale im Südosten, Hauptstraße. Doch im Stadtbild erinnert wenig an die antike Vergangenheit. Diese findet, wer sich in das wenige Hundert Meter von der Grande Rue entfernte, vorzüglich sanierte und 2018 von Präsident Macron wiedereröffnete Museum der Schönen Künste und der Archäologie am Patz der Revolution begibt. Gegründet 1694, ist es knapp 100 Jahre älter als der Pariser Louvre.
Wer die Hauptstraße nach Südosten abschreitet, gelangt zum im Innern wenig sehenswerten Geburtshaus Victor Hugos (1802–1885). Die ursprüngliche Ausstattung ist verloren. Die Ausstellung versucht das mit technischer Animation zu kompensieren, für uns wenig glücklich. Nützlicher ist es, eines der Bücher des Autors der „Elenden“ oder des „Glöckners von Notre-Dame“ zur Hand zu nehmen. Die Familie zog bald nach der Geburt fort, Hugo kehrte nie zurück. Am Platz vor dem Haus stehen wir bereits wie Fontane am Anfang des sich in Serpentinen windenden Aufstiegs zur Zitadelle, den er in seinem Band „Kriegsgefangen. Erlebtes 1870“ festgehalten hat. Besançon, so schrieb er, „macht einen sehr guten Eindruck, wohl … deshalb, weil [es] einen bestimmten Charakter, ein Gesicht für sich hat“. Zu Fuß durchmaß er die Stadt, trotz misslicher Lage unter Bewachung: mit bemerkenswerter Wachheit – und Sympathie. „Er liebt ja die Franzosen“, hieß es hierzulande über den Spross einer Hugenottenfamilie. Es war nicht als Kompliment gemeint.
Wie Fontane, dem schließlich kein Prozess gemacht wurde, und Hausenstein nehmen wir den Anstieg, lassen linker Hand einen kleinen Park mit korinthischen Säulen aus gallo-römischer Zeit liegen, in dem eine in der Revolution zerstörte Kirche stand, bis wir, vorbei am einstigen erzbischöflichen Palais, vor der Porte Noire, dem Schwarzen Tor stehen. Einst ein Triumphbogen, errichtet im Jahre 175 zu Ehren Kaiser Marc Aurels, stellt es das berühmteste Relikt aus antiker Zeit in der Stadt dar. Eine schmale Straße führt unter dem Bogen hindurch, dessen vordem freistehende Pfeiler üppig mit nun verwaschenen Szenen geschmückt sind, die an die Einnahme der Partherstadt Seleukia-Ktesiphon (heute Irak) im Jahre 165 erinnern.
Schwarz ist das Bauwerk nicht mehr, der Eindruck dennoch ein bleibender. Es strahlt große Ruhe aus, war ursprünglich 15,50 Meter hoch. Heute ist es wegen der Bodenaufschüttungen über die Jahrhunderte ein Meter weniger. Dahinter erhebt sich das Johannesmünster, die Kathedral-Basilika mit Doppelchoranlage, hervorgegangen aus zwei im Mittelalter verbundenen Kirchen. Schäden durch einen Erdrutsch im Jahre 1729 erklären das barocke, zur Stadt hin weisende Portal unweit der ebenfalls neuerrichteten Ostapsis und den Stil des Turmes. Sie entstanden nach dem Unglück. Als besonders sehenswert darf neben der sanierungsbedürftigen Astronomischen Uhr mit siebzig Ziffernblättern ein im Jahre 1050 von Papst Leo IX. geweihter Scheibenaltar gelten, der als Johannisrose bezeichnet wird. Er befindet sich in einer der südlichen Kapellen. Die Pietà des flämischen Renaissancebildhauers Conrat Meit ist derzeit nicht an ihrem Platz, offenbar aus konservatorischen Gründen. Das Gotteshaus über eine Stiege im Turm verlassend, die am Zugang zur Uhr vorbeiführt, wandern wir zur Zitadelle, von deren vorderen Mauern sich, ohne Eintritt in die inneren Anlagen lösen zu müssen, interessante Blicke zur Stadt hin bieten. Auf dem Gelände wird an ein düsteres Kapitel erinnert: die Erschießung von Widerstandskämpfern während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, darüber hinaus die Deportation der Juden. Die Geschichte ihrer örtlichen Gemeinde reicht bis ins Mittelalter zurück. Vorübergehend vertrieben, kehrte sie nach der Revolution zurück und legte 1796 einen Friedhof an. Lange Zeit zählte sie um die 700 Gläubige, wuchs in den 1960er-Jahren jedoch beinahe auf das Dreifache, als aus Nordafrika zahlreiche Juden zuwanderten. Die Synagoge im maurischen Stil, direkt am Doubsufer gelegen, wurde 1869/70 errichtet.
Auf dem Weg zurück in die Altstadt biegen wir vor der Kathedrale zu einem ehemaligen Klarissenkloster ab, in dem nun ein Hotel und ein Restaurant untergebracht sind: „Le Sauvage“. Wir lassen uns eine vorzügliche kalte Erbsensuppe servieren, danach Geflügel, französischen Wein, mit dem auch Hausenstein zufrieden gewesen wäre, schließlich ein Aprikosen-Dessert – und sind, dankbar von der Terrasse in die Abendsonne blinzelnd, selig.
Besançon jedoch gibt mehr Ziele auf, als sich an einem Tag bewältigen ließen. So machen wir uns anderntags auf an das Ufer des Doubs, entlang dessen sich im gesamten Stadtgebiet spazieren lässt. Wir bestaunen den Fischreichtum und unzählige, emsig geschäftige Nutrias, schwimmende Nagetiere, die an eine Kreuzung von Biber und Bisamratte denken lassen. Wenige Meter von der Pont Battant entfernt, lässt sich über einen Stich durch die Uferbebauung in nur wenigen Schritten auf den Revolutionsplatz gelangen. Wir besuchen das Museum der Schönen Künste, für das sich auch eilige Besucher zwei Stunden Zeit nehmen sollten. In der Antiken-Sammlung führt kein Weg vorbei am bronzenen, dreifach gehörnten Stier von Avrigney, einem Kultobjekt aus dem 1. oder 2. Jahrhundert. Das Haus führt auch eine ägyptische Sammlung. Uns aber imponiert besonders jene der Gemälde. Courbet ist in seiner Heimat ausgiebig vertreten, überhaupt das 19. Jahrhundert, Ingres, Renoir, dazu vorzügliche ältere Stücke der Genremalerei, Bronzinos „Beweinung Christi“, beide Cranachs, die Moderne auch mit Picasso. Am nachhaltigsten währt der Eindruck von Dantes Höllenvision, des neunten Kreises, wie sie Gustave Courtois (1852–1923) interpretiert hat. Wir sitzen lange vor dem Gemälde von 1879.
Heraus aus dem Museum, schlägt unserer Ergriffenheit der wohlig-warme Sommer entgegen. Wir grüßen ihn freudig und gehen doch stille hinüber zu der weiten Place Granvelle, benannt nach dem anliegenden Renaissance-Palais mit prächtigem Innenhof, das Karls V. Kanzler im 16. Jahrhundert errichten ließ. In dem Palast ist seit reichlich zwanzig Jahren das Museum der Zeit untergebracht. Es erinnert an die große Geschichte der Uhrenindustrie Besançons. Da die Ewigkeit, hier die Zeit – ein Memento? Wir treten aus dem Hof an den Platz, auf dem sich ein Konzertpavillon erhebt; Musik dringt herüber. Ein Dutzend Paare tanzt zu Klängen aus der Konserve in den Sommerabend hinein; versonnen schauen wir ihnen zu.