ASTANA. In vier Jahren wird die Welt auf Kasachstan blicken. Daran arbeitet jedenfalls Talgat Ermegiyaev. Er hofft und bangt darum, dass das auch gelingt. Der frühere Tourismusminister organisiert die Expo 2017. Drei Monate lang soll die Weltausstellung in der Hauptstadt Astana weilen und internationale Aufmerksamkeit auf das Land zwischen Russland und China ziehen. Mit der Expo gerät der zentralasiatische Staat „zum ersten Mal“ aus eigener Kraft „in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit“, sagt Ermegiyaev. Ihn hat Präsident Nursultan Nasarbajew mit der Organisation der Weltausstellung beauftragt. Ein große Aufgabe. Für Schlagzeilen darf dann nicht der von den Russen gepachtete Weltraumbahnhof Baikonur oder das frühere Atomwaffentestgelände der Sowjets in Semipalatinsk sorgen. Alle Blicke sollen sich auf den ganzen Stolz der Kasachen richten: auf die neue Hauptstadt Astana, die seit 1998 in die karge Steppe hinein gepflügt wird. Das ist zumindest der Plan.
Auf 113 Hektar Fläche soll von 2014 an ein eigener Expo-Stadtteil entstehen, in dem sich das Land in bestem Glanz präsentieren will. Kasachstan will damit weg von dem Bild, das das Land vorrangig als Öl- und Rohstoffexporteur zeigt.
Schon jetzt versucht sich die Hauptstadt in ganzer Größe zu zeigen: Immer neue Bankentürme und Bürohochhäuser wachsen in die Höhe, immer mehr Autos fahren über die Straßen mit sechs, acht oder zehn Spuren. Ein gewaltiger Bauboom hält den Nordosten des Landes in Atem, seit der Regierungssitz von Almaty im Süden des Landes hierher verlegt wurde. 1989 lebten in Astana weniger als 300.000 Menschen, doch die Einwohnerzahl hat sich seitdem fast verdreifacht: Heute liegt sie knapp unter 800.000. In der Stadt finden sich ein Radsport‑, ein Fußball- und ein Eissportstadion, die größte Moschee Zentralasiens, teure Wohnhäuser, zahlreiche Einkaufszentren – und der riesige Präsidentenpalast mit blauer Kuppel, der dem Machtanspruch entsprechend überdimensioniert erscheint. Medien werden zensiert und Regimekritiker drangsaliert. Stets hat der seit 1991 autokratisch regierende Präsident Nursultan Nasarbajew das letzte Wort.
In Zentralasien gilt Kasachstan als das wohlhabendste Land. Der Vielvölkerstaat ist in den vergangenen 20 Jahren ökonomisch weit vorangeschritten. Die Wirtschaftsleistung je Einwohner ist mit 11935 Dollar nach Angaben der Weltbank drei Mal so hoch wie in der Ukraine. Für 2017 rechnet der IWF mit 20000 Dollar. Auf der Liste der wettbewerbsfähigsten Staaten des Weltwirtschaftsforums liegt das Land auf Rang 50 (von 148).
Wichtigster Treiber des Wirtschaftswachstums bleibt die Rohstoffindustrie. Kasachstan gilt nicht nur als größter Uranproduzent der Welt, sondern verfügt auch über reiche Ölvorkommen. Das größte Feld, das auf der ganzen Welt in den vergangenen 45 Jahren erschlossen wurde, liegt im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres. Mit der erst im September begonnenen Förderung im Kaschagan-Feld könnte das zentralasiatische Land bald in die Riege der fünf größten Ölexportländer aufschließen. Ein internationales Konsortium, dem die Energiekonzerne Eni, Shell und Total angehören, hat 50 Milliarden Dollar in dessen Erschließung investiert; auch die Chinesen wollen über ihren Staatskonzern CNPC einsteigen. Die geplante zusätzliche Förderung allein aus Kaschagan soll zunächst 50 Millionen Tonnen jährlich betragen, von 2018/19 an sogar 75 Millionen. Beträchtliche Mengen finden sich in Kasachstan auch von Steinkohle, Eisenerz, Kupfer, Chrom, Titan, Wolfram, Nickel, Phosphor, Gips, Silizium, Blei, Zink, Gold, Silber, Mangan und Seltene Erden – es ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt.
Darin liegen Segen und Fluch zugleich: Schon heute machen die Einnahmen aus Förderung und Verarbeitung von Rohöl ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes aus, die Hälfte der staatlichen Einnahmen sowie zwei Drittel der Exporterlöse. Doch die Einnahmen daraus kommen in weiten Teilen des Volkes nicht an, vor allem in ländlichen Regionen. Jeder vierte Beschäftigte arbeitet in der Landwirtschaft, die nur 4,1 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht.
Der Gefahr durch die Fokussierung auf Rohstoffe will die Regierung mit der 2012 veröffentlichten Agenda „Kasachstan 2050“ angehen: Staatliche Programme sollen die Industrialisierung vorantreiben und den Mittelstand entwickeln. Dieser trägt bislang nur ein Zehntel zur Wirtschaftsleistung bei, sagte Albert Rau, deutschstämmiger Erster Vizeminister für Industrie und Neue Technologien, auf einer Reise nach Kasachstan, zu der die kasachische Botschaft in Deutschland eingeladen hatte.
Mittelständische Unternehmer wie Hans Günter Funke aus Nordrhein-Westfalen kommen den Kasachen daher gelegen. Funke hat seit Jahresbeginn mit kasachischer Unterstützung am Stadtrand von Astana eine Produktionsstätte für Fensterprofile aufgebaut, von der aus er den kasachischen wie den russischen Markt beliefert. 65 Einheimische beschäftigt das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Hamm. 15 Ausbilder aus Deutschland helfen, sie zu schulen. „Wir wollen deutsche Qualität in die Region bringen“, sagt er. Obwohl er um etwa 20 Prozent teurer produziere als die Konkurrenz aus der Türkei, aus China oder Russland, sieht er das Unternehmen gut aufgestellt im Wettbewerb. Die schlechte Zahlungsmoral aber stört ihn. „Alles geht hier über Vorkasse. Das gilt für uns, wenn wir unsere Rohstoffe beziehen genauso wie für die Fensterbauer, an die wir unsere Profile liefern.“
Ausländische Investoren schreckt auch die langsame, teils korrupte Bürokratie ab. Die deutsche Außenhandelskammer (AHK) weist ganz grundsätzlich hin auf die „enge Verschränkung von Staat und Politik, die zum einen zwar eine staatliche Unterstützung systemrelevanter Industrien garantiert, oft auch jenseits wirtschaftlicher Effektivität, die andererseits aber stets staatliche Regulierung ermöglicht“. Auch die „relativ hohen Kreditzinsen“ nennen die Fachleute der Kammer als Investitionshindernis.
Die kasachische Regierung selbst will aus der geografischen Lage des Landes mehr Kapital schlagen. Mit Russland teilt es eine der längsten Landgrenzen der Welt, die mehr als 6800 Kilometer beträgt. Kasachstans schiere Größe soll sich als nützlich erweisen; sie macht das Land zu einer Art Brücke zwischen China und Westeuropa. Bis 2015 will Vizeindustrieminister Albert Rau den kasachischen Teil des Südwestprojektes fertiggestellt sehen: ein 2700 Kilometer langes Autobahnstück, das in der Verlängerung die Ostküste Chinas mit Europa verbinden wird. An dieser Strecke sollen sich Industrie und Gewerbe ansiedeln, hofft die Regierung. Zudem soll die Bahn mehr Güter durch das Land fahren. „Namhafte Kunden aus der Elektronik- und Automobilindustrie fragen nach Schienenlösungen vor allem aufgrund des Zeitvorteils“, sagt Gerhard Felser, Sprecher der DB Schenker Logistics in Frankfurt. „Während die Seefracht bis zu 40 Tage unterwegs ist, erreichen die Produkte auf der Schiene schon nach 19 bis 22 Tagen ihr Ziel.“ Auch das hört sich noch lang an. Die Entfernungen in dem Land werden bleiben – selbst dann, wenn sich Kasachstan mit der Expo in vier Jahren die Blicke der Welt ersehnt.