Aus dem Chemnitzer Osten in die Datenwolke

Mar­tin Böh­rin­ger und sei­ne Mit­strei­ter arbei­ten an unter­neh­mens­in­ter­nen Kommunikationsmedien.

CHEMNITZ. Am Anfang stand die Cloud, die Daten­wol­ke des Inter­nets – „und ein Abbruch­haus im Chem­nit­zer Osten“, fügt Mar­tin Böh­rin­ger hin­zu. Dort näm­lich fan­den der 28-Jäh­ri­ge und sei­ne drei Mit­strei­ter zunächst Unter­schlupf, als sie im Janu­ar 2011 die Fir­ma Hojo­ki GmbH gründeten.

Ver­ström­te das dama­li­ge Domi­zil noch den DDR-Charme eines frü­he­ren Behör­den­stand­orts der Stadt­ver­wal­tung, das aller­dings für 100 Euro Monats­mie­te zu haben war, ist heu­te vie­les anders. Das noch immer jun­ge Unter­neh­men logiert längst am ent­ge­gen­ge­setz­ten Ende der Stadt im her­aus­ge­putz­ten Grün­der­zeit­vier­tel Kaß­berg in einem herr­schaft­li­chen Eck­haus am Hang. Statt des Lin­ole­um­bo­dens ist hier Par­kett ver­legt, im Bespre­chungs­raum steht das elek­tro­ni­sche Schlag­zeug eines Mit­ar­bei­ters, und neben den glä­ser­nen Kon­fe­renz­tisch sind Sitz­sä­cke am Boden dra­piert. Skiz­zen- und Stich­wort­ge­wirr füllt die wei­ße Tafel an der Wand.

Nicht nur Böh­rin­ger macht sich hier sei­ne Gedan­ken, son­dern auch sei­ne drei Mit­grün­der Lutz Ger­lach (39 Jah­re), Dani­lo Härt­zer (36) und Thi­lo Schmal­fuß (32). Sie tüf­teln mit acht Mit­ar­bei­tern – die meis­ten sind Pro­gram­mie­rer, drei wur­den pro­mo­viert – an den Dienst­leis­tun­gen von Hojo­ki. Dabei ver­steht sich die Fir­ma als soge­nann­ter Clou­d­ag­gre­ga­tor: Böh­rin­ger & Co. ent­wi­ckeln für ihre Kun­den – vor allem klei­ne und mit­tel­gro­ße Unter­neh­men der inter­net­ge­trie­be­nen Krea­tiv­bran­che – einen zen­tra­len, akti­vi­täts­strom­ba­sier­ten Zugang zu einer Viel­zahl von Cloud-Apps.

„Was sich damit anstel­len lässt?“ Die­se Fra­ge wer­de Böh­rin­ger von Außen­ste­hen­den immer wie­der gestellt. „In einer fort­lau­fen­den Chro­no­lo­gie, die der von Face­book ähnelt, machen wir mit Hojo­ki den aktu­el­len Sta­tus von Arbeits­pro­jek­ten sicht­bar“, erklärt er. Dazu könn­ten dann Auf­ga­ben, Doku­men­te, Kon­tak­te oder Ter­mi­ne ein­ge­speist wer­den. Betei­lig­te Mit­ar­bei­ter, ob aus einem oder ver­schie­de­nen Unter­neh­men, könn­ten so in Echt­zeit die Arbeits­fort­schrit­te ver­fol­gen, sie kom­men­tie­ren, mit Kol­le­gen dar­über dis­ku­tie­ren. Ziel sei es, ver­schie­de­ne Inter­net­an­wen­dun­gen oder ‑hilfs­mit­tel auf Cloud­ba­sis schnel­ler und mit weni­ger Rei­bungs­ver­lus­ten zu koor­di­nie­ren. Es gehe dar­um, getrenn­te Sys­te­me zusam­men­zu­füh­ren und für die Fir­men­kom­mu­ni­ka­ti­on intern, zwi­schen Unter­neh­men oder ein­zel­nen Mit­ar­bei­tern nutz­bar zu machen.

Hojo­ki pro­gram­miert dafür die Web- und Smart­pho­ne-Anwen­dun­gen, die Cloud-Apps wie Drop­box, Goog­le Dri­ve, Git­hub oder Ever­no­te auf einer gemein­sa­men Ober­flä­che mit­ein­an­der ver­net­zen. Nach Anga­ben Böh­rin­gers haben die Chem­nit­zer damit bis­lang 115.000 Nut­zer über­zeu­gen kön­nen. Die meis­ten ver­wen­de­ten nach wie vor die kos­ten­lo­se Ver­si­on, wes­halb das Unter­neh­men bis­lang kei­nes­wegs pro­fi­ta­bel arbei­te. Des­halb sei kürz­lich eine kos­ten­pflich­ti­ge Pre­mi­um­va­ri­an­te frei­ge­schal­tet wor­den, die mehr Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten bietet.

So weit der tech­ni­sche Hin­ter­grund von Hojo­ki, des­sen Name von einem japa­ni­schen Buch aus dem 13. Jahr­hun­dert her­rührt. Der Inhalt der his­to­risch-phi­lo­so­phi­schen Abhand­lung wur­de spä­ter immer wie­der mit der For­mel „Pan­ta rhei“ („Alles fließt“) aus der grie­chi­schen Anti­ke in Ver­bin­dung gebracht – kommt somit also nicht von unge­fähr. „Die Ereig­nis­se bestim­men den Fluss“, erklärt Böh­rin­ger. „Und wir stel­len den Arbeits­all­tag als Fluss der Ereig­nis­se dar.“

Ganz glück­lich ist er – trotz des lite­ra­risch-phi­lo­so­phi­schen Tief­gangs – in der Rück­schau aber nicht mit der Namens­wahl: „In Ame­ri­ka, von wo immer­hin die meis­ten unse­rer Kun­den kom­men, konn­ten vie­le Leu­te kaum das Wort aus­spre­chen, geschwei­ge denn, sich etwas dar­un­ter vor­stel­len“, bekennt er schmun­zelnd. Des­halb habe „Cat­ch­app“, die zwei­te Anwen­dung des Hau­ses, die kürz­lich zum Ver­kauf an die Apps­to­res gegan­gen sei, einen auch für eng­lisch­spra­chi­ge Kun­den ein­gän­gi­ge­ren Namen erhal­ten. „Cat­ch­app“, sagt Böh­rin­ger, „ist eine Anwen­dung für den moder­nen Mana­ger, für einen, der mit sei­nen Mit­ar­bei­tern an der Basis eng zusam­men­ar­bei­tet.“ Die frü­her übli­chen wöchent­li­chen Sta­tus­be­rich­te zwi­schen den Hier­ar­chie­ebe­nen wür­den damit über­flüs­sig. Der Mana­ger sehe auf der Appli­ka­ti­on, wann wer mit wem einen Ter­min ver­ein­bart, wel­chen Fort­schritt ein kon­kre­tes Pro­jekt erzielt oder wo Hin­der­nis­se zu über­win­den sind.

Ent­stan­den sei die neue Anwen­dung nicht zufäl­lig als Reak­ti­on auf den Erst­ling des Hau­ses. „Wir suchen noch den idea­len Nut­zer und sind dabei, die Bedürf­nis­se unse­rer Kun­den ken­nen­zu­ler­nen“, sagt der stu­dier­te Wirt­schafts­in­for­ma­ti­ker, der in Chem­nitz pro­mo­viert wur­de, ver­hei­ra­tet ist und Vater einer zwei­jäh­ri­gen Toch­ter. Die­se Suche brau­che jedoch Zeit, und davon wie­der­um sei die Finan­zie­rungs­fra­ge abhän­gig. Das inter­na­tio­na­le Team aus Iren, Rus­sen und Deut­schen – auch ein Ame­ri­ka­ner sei schon dabei gewe­sen – schlug auch hier einen unkon­ven­tio­nel­len Weg ein.

Nach einem soge­nann­ten Future-Sax-Grün­dungs­sti­pen­di­um des Säch­si­schen Wirt­schafts- und Arbeits­mi­nis­te­ri­ums ging Böh­rin­ger auf die Suche nach einem neu­en Geld­ge­ber. Er fand ihn in dem Fremd­ka­pi­tal­ge­ber Kizoo aus Karls­ru­he, von dem er 450.000 Euro ein­sam­mel­te. Im ver­gan­ge­nen Jahr floss aber­mals Wag­nis­ka­pi­tal, dies­mal in „sie­ben­stel­li­ger Höhe“. Wie­der­um sei Kizoo im Boot gewe­sen, aber auch die Bad Hom­bur­ger Fonds­ge­sell­schaft Crea­thor Ven­ture, die bereits das Jena­er Soft­ware­un­ter­neh­men Inter­shop unterstützte.

Aus­ge­stat­tet mit neu­en Mit­teln, soll nun die Pro­dukt­ent­wick­lung beschleu­nigt wer­den. Dar­über hin­aus will Böh­rin­ger mehr Nut­zer gewin­nen, nicht nur auf dem deut­schen Markt, son­dern auch dort, wo Hojo­ki bis­lang schon stark ist: neben den Ver­ei­nig­ten Staa­ten in Kana­da und Japan, Süd­afri­ka und Aus­tra­li­en. Sein Ziel ist es, mit dem gera­de ent­ste­hen­den Markt zu wach­sen. „Damit“, so hofft er, „wol­len wir noch mehr die Brauch­bar­keit unse­rer Anwen­dun­gen unter Beweis stel­len“ – und schließ­lich: pro­fi­ta­bel wer­den. „Irgend­wann könn­te ein Bör­sen­gang fol­gen – oder: ein Verkauf.“

Dass es sich in Sachen Ver­kauf nicht um ein blo­ßes Gedan­ken­spiel han­deln könn­te, zeigt der Fall des ame­ri­ka­ni­schen Wett­be­wer­bers Yam­mer. Wie Hojo­ki vor­ran­gig ein Netz­werk zur fir­men­in­ter­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on, wur­de es im Juli 2012 von Micro­soft über­nom­men. Für 1,2 Mil­li­ar­den Dollar.

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