Der Revolutionär

Die einen widmeten ihm Denkmäler, die andern sahen dunkle Wolken mit dem Wittenberger aufkommen: Martin Luther taugte wurde und wird für vieles instrumentalisiert, legte dafür aber selbst die Grundlagen. Das Bild des "Reformators" hat Kratzer, die nicht wenige im Jahr des Reformationsgedenkensabdecken möchten. Foto: Michael Kunze
Die einen wid­me­ten ihm Denk­mä­ler, die andern sahen dunk­le Wol­ken mit dem Wit­ten­ber­ger auf­kom­men: Mar­tin Luther wur­de und wird für vie­les instru­men­ta­li­siert, leg­te dafür aber selbst die Grund­la­gen. Foto: Micha­el Kunze

Wer Reform will, erneu­ert das Bestehen­de mehr oder weni­ger behut­sam. Mar­tin Luther aber stürz­te Kir­che, Poli­tik und Gesell­schaft sei­ner Zeit um – mit lang­an­hal­ten­den Fol­gen, die auch im Jahr des Refor­ma­ti­ons­ge­den­kens nachwirken.

DRESDEN. Mar­tin Luther woll­te kei­ne Spal­tung der Kir­che, son­dern sie refor­mie­ren. So lau­tet der Tenor bei Kir­chen­ver­tre­tern oder Poli­ti­kern im Jahr des Refor­ma­ti­ons­ge­den­kens. Auch katho­li­sche Theo­lo­gen wie Dirk Ansor­ge von der Hoch­schu­le Sankt Geor­gen sind von der Reform­ab­sicht des Wit­ten­ber­gers über­zeugt. Die Wirk­lich­keit vor 500 Jah­ren legt aber einen ande­ren Schluss nahe: Luthers Wunsch nach Kir­chen­re­form war bald nach Ver­öf­fent­li­chung sei­ner 95 The­sen wider den Ablass­han­del erschöpft. Dann betrieb er so aus- wie tief­grei­fend Spal­tung und Revo­lu­ti­on statt Wan­del und Erneue­rung des Bestehen­den. Bei Luthers Tod 1546 war das „Hei­li­ge Römi­sche Reich Deut­scher Nati­on“ geteilt in ein evan­ge­li­sches, sich kon­fes­sio­nell wei­ter zer­fa­sern­des und in ein katho­li­sches Lager. Unzäh­li­ge hat­ten den Streit mit ihrem Leben bezahlt – lan­ge vor dem Gemet­zel des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieges.

Der anti­rö­mi­sche Affekt lebt weiter

Die reli­giö­sen und gesell­schaft­li­chen Kon­se­quen­zen bis in Fami­li­en hin­ein währ­ten Jahr­hun­der­te. Älte­re ken­nen noch die mit­un­ter dra­ma­ti­schen Umstän­de, wenn vor 60, 70 Jah­ren zum Bei­spiel eine gemisch­t­kon­fes­sio­nel­le Ehe­schlie­ßung zur Debat­te stand. Da haben Eltern Kin­der ent­erbt, sich Fami­li­en zer­strit­ten, wur­de ein­an­der ver­sto­ßen. Die Spal­tung, die Luther mit Fürs­ten­hil­fe ein­lei­te­te, stell­te sich als der­art gra­vie­rend und nach­hal­tig her­aus, dass es bald 500 Jah­re brauch­te, um sich Luthers und der Ereig­nis­se des Herbs­tes 1517 ohne Sie­ges­fei­er wider die Alt­gläu­bi­gen in Rom zu erin­nern, bei der das katho­li­sche Deutsch­land stets als unsi­che­rer Gesel­le in natio­na­ler Sache abqua­li­fi­ziert wor­den war. Auch Bis­marck hielt das noch so; er ließ wenig unver­sucht, Katho­li­ken zu unter­drü­cken – im Kampf gegen Zen­trums­par­tei, Kon­fes­si­ons­schu­len, kirch­li­che Ehe. Der anti­rö­mi­sche Affekt hielt sich bis weit ins 20. Jahr­hun­dert. Für eine Viel­zahl von Katho­li­ken wirkt er abge­schwächt noch immer, wenn sie sich den Umgang deut­scher Medi­en oder Poli­ti­ker wie der evan­ge­li­schen Bun­des­kanz­le­rin mit Papst Bene­dikt XVI. im Zusam­men­hang mit Holo­caust­leug­ner und Ex-Pius­bru­der Richard Wil­liam­son in Erin­ne­rung rufen.

Die poli­ti­schen Aus­wir­kun­gen von Deutsch­lands welt­weit ein­ma­li­ger Spal­tung sind das eine, das ande­re die reli­giö­sen. Luther hat die Kir­che nicht refor­miert; er zwang ande­re, dies zu tun, nach­dem er ihr den Rücken gekehrt hat­te und schuf par­al­lel dazu eine neue, die das Gegen­teil der katho­li­schen sein soll­te. Das wird im Ver­hält­nis zum Papst­amt offen­bar, das Luther anfangs als Aus­druck mensch­li­chen, nicht aber gött­li­chen Rechts noch akzep­tier­te. Es zeigt sich auch dar­in, wel­che Rol­le Kir­che als Insti­tu­ti­on für Luthe­ra­ner spielt. Die­se unter­schei­det sich grund­sätz­lich von dem, was sie für Katho­li­ken dar­stellt. Wäh­rend sie letz­te­ren als Got­tes Werk­zeug gilt, mit dem er jetzt, direkt, sicht­bar in der Welt han­delt, ist sie für Luthe­ra­ner orga­ni­sa­to­ri­sches Mit­tel zum Zweck.

Die Katho­li­sche Kir­che beruft sich für die her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung des Paps­tes als Nach­fol­ger des Apos­tels Petrus auf das Mat­thä­us-Evan­ge­li­um. Dort ste­hen Jesu Wor­te: „Du bist Petrus, und auf die­sen Fel­sen wer­de ich mei­ne Kir­che bau­en, und die Mäch­te der Unter­welt wer­den sie nicht über­wäl­ti­gen. Ich wer­de dir die Schlüs­sel des Him­mel­reichs geben; was du auf Erden bin­den wirst, das wird auch im Him­mel gebun­den sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Him­mel gelöst sein.“

Wei­he ver­än­dert das Amt

Alles, was sich dar­aus ergibt, deu­tet der Form nach auf Dau­er hin, dazu auf hohe Auto­ri­tät. Dar­auf fußt die katho­li­sche Hier­ar­chie. Die­se lei­tet die Stel­lung der Bischö­fe, deren ers­ter der von Rom ist, aus dem Han­deln in direk­ter Nach­fol­ge der Apos­tel ab. Jesus selbst hat sie in die Welt gesandt. Durch Hand­auf­le­gen wur­de die­se beson­de­re Wür­de von den Apos­teln, dem Zwöl­fer-Kreis um Jesus, an die Bischö­fe wei­ter­ge­ge­ben. Luthe­ra­ner hin­ge­gen ken­nen kein Wei­he­amt; die Abfol­ge des Hand­auf­le­gens ist bei ihnen unter­bro­chen. Denn Luther ging vom Pries­ter­tum aller Gläu­bi­gen aus, zu dem jeder Getauf­te beru­fen ist. Die Lan­des­bi­schö­fe sind eine jun­ge Not­lö­sung, ent­stan­den nach Unter­gang der Mon­ar­chien in Deutsch­land. Bis dahin waren die Fürs­ten Ober­häup­ter der Lan­des­kir­chen, dazu gab es als deren „Auf­se­her“ Super­in­ten­den­ten, Bischö­fe hin­ge­gen nicht. Der evan­ge­li­sche Pfar­rer wie­der­um lei­tet eine Gemein­de mit dem aus Lai­en bestehen­den Kir­chen­vor­stand gemein­sam. Er ist durch sein Theo­lo­gie­stu­di­um zwar reli­gi­ös beson­ders gebil­det, erhält aber kei­ne Wei­he (aus der sich weit­rei­chen­de Rech­te und Pflich­ten ablei­ten) wie sein katho­li­scher Amts­bru­der. Luthe­ra­ner ordi­nie­ren ihre Pfar­rer. Das heißt, sie wer­den geseg­net und aus­ge­sandt, um Got­tes Wort zu ver­kün­den und die Sakra­men­te zu ver­wal­ten. Luther war der Über­zeu­gung, dass es vor Gott nicht auf Leis­tung ankommt, da Erlö­sung nur als des­sen Gna­den­akt denk­bar ist (dem schlie­ßen sich Katho­li­ken heu­te weit­ge­hend an). So ver­bie­te sich ein Pries­ter­stand, der durch Wei­he, Gelüb­de, Lebens­form über ande­ren Gemein­de­glie­dern steht.

Wäh­rend das luthe­ri­sche „eccle­sia sem­per refor­man­da“ betont, dass sich „Kir­che immer­fort wan­deln“ muss, um Jesu Bot­schaft zeit­ge­mäß zu ver­kün­den, hebt die Katho­li­sche Kir­che Kon­ti­nui­tät her­vor. Sie fürch­tet den Bruch mit der Tra­di­ti­on wie der Teu­fel das Weih­was­ser. Immer geht es dar­um, die gro­ße Linie aus der Zeit Jesu bis in die Gegen­wart wei­ter zu zeich­nen – auch mal kur­vig, doch ohne Unter­bre­chung. Dem Zeit­geist wird mit Skep­sis begeg­net. Nicht allein die Schrift, Luthers „sola scrip­tu­ra“ – nur das, was in der Bibel steht –, dient als Richt­schnur katho­li­schen Christ­seins. Die Bibel ist viel­mehr einer von wei­te­ren, wenn auch ein wich­ti­ger Stein des Hau­ses Kir­che. Ihre Ent­ste­hung ist dabei selbst Fol­ge eines kirch­li­chen Tra­di­ti­ons­pro­zes­ses: bei­spiels­wei­se von Kon­zils­be­schlüs­sen oder Glau­bens­prü­fun­gen und Erkennt­nis­pro­zes­sen der Kir­chen­vä­ter, die die Auf­nah­me der vier Evan­ge­li­en von Mat­thä­us, Mar­kus, Lukas und Johan­nes ins Neue Tes­ta­ment nach sich zogen, wäh­rend ande­re Schrif­ten außen vor blie­ben (die soge­nann­ten Apokryphen).

Kir­chen­ver­ständ­nis gilt als Haupt­hin­de­rungs­grund für wei­te­re Annäherung

Luther war im Wort­sin­ne Fun­da­men­ta­list; er warf der Kir­che vor, sie habe sich zu weit von ihren Wur­zeln ent­fernt, füh­ren­de Ver­tre­ter hät­ten sich zu sehr dies­sei­ti­gen Zwe­cken aus­ge­lie­fert und die Gläu­bi­gen gleich mit. Was er am Ablass kri­ti­sier­te, war die Ver­knüp­fung von welt­li­cher Leis­tung, klin­gen­der Mün­ze, mit jen­sei­ti­gem Lohn – getreu dem Mot­to des Pir­n­a­er Pre­di­gers Johann Tetzel: „Wenn das Geld im Kas­ten klingt, die See­le in den Him­mel springt.“ Vie­le Miss­stän­de hat die Katho­li­sche Kir­che nach und nach abge­stellt. Schon auf dem Kon­zil von Tri­ent (1545–1563), das aller­dings Jahr­zehn­te zu spät kam, wur­den grund­le­gen­de Refor­men eingeleitet.

Die­se konn­ten das sich aus dem unter­schied­li­chen Kir­chen- erge­ben­de abwei­chen­de Amts­ver­ständ­nis bei Katho­li­ken und Pro­tes­tan­ten nicht mehr zusam­men­füh­ren, das heu­te als Haupt­hin­de­rungs­grund wei­te­rer Annä­he­rung gilt. Es gibt aber zusätz­li­che Unter­schie­de wie die Anzahl der Sakra­men­te. Katho­li­ken ken­nen sie­ben die­ser sicht­ba­ren Zei­chen, die die unsicht­ba­re Wirk­lich­keit Got­tes ver­ge­gen­wär­ti­gen und die die, denen sie gespen­det wer­den, an die­ser Wirk­lich­keit teil­ha­ben las­sen: Tau­fe, Eucha­ris­tie (Kommunion/Abendmahl), Beich­te, Fir­mung, Ehe, Kran­ken­sal­bung, Pries­ter­wei­he. Luther hat nur zwei akzep­tiert: Tau­fe und Abend­mahl, auch wenn er die Kran­ken­sal­bung für einen guten Brauch hielt und die Beich­te schätz­te. Was beim Abend­mahl pas­siert, deu­te­te er teils abwei­chend vom katho­li­schen Verständnis.

Was das in der Kon­se­quenz bedeu­tet, mag eine Bege­ben­heit illus­trie­ren, von der im Janu­ar 2007 der „Wies­ba­de­ner Kurier“ berich­te­te: Dem Frank­fur­ter Stadt­de­kan Johan­nes zu Eltz war sei­ner­zeit in der Hei­li­gen Mes­se auf­ge­fal­len, dass jemand eine kon­se­krier­te Hos­tie steh­len woll­te. Zu Eltz such­te dies zu ver­hin­dern. Der Zei­tung gegen­über gab er an, den Leib Chris­ti, denn dar­um han­delt es sich nach katho­li­schem Ver­ständ­nis, not­falls mit sei­nem Leben zu ver­tei­di­gen. Wäh­rend­des­sen berich­tet der Öku­men­e­be­auf­trag­te der als sehr kon­ser­va­tiv gel­ten­den Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Sach­sens, Peter Meis, gegen­über dem Autor, dass es in sei­nem Kir­chen­spren­gel den Pfar­rern über­las­sen sei, wie sie etwa mit Wein umge­hen, der beim Abend­mahl übrig­bleibt. „In der Regel wird er weg­ge­schüt­tet“, sagt er. Nur sol­che Pas­to­ren, die dem katho­li­schen Ver­ständ­nis sehr nahe stün­den, hiel­ten es anders.

Sakra­ment, ja oder nein, maß Luther jeden­falls dar­an, ob ein Zei­chen von Jesus selbst ein­ge­setzt wor­den ist und davon die Bibel ent­spre­chend berich­tet. Für ihn galt das nur für die genann­ten bei­den. Auch wenn Meis in der Rück­schau von einem „erstaun­li­chen Reform­weg“ der Katho­li­ken spricht, nicht erst seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil, son­dern seit Tri­ent, blei­ben die genann­ten gro­ßen, maß­geb­lich von Luther inspi­rier­ten Unter­schie­de, die auch dazu füh­ren, dass es Katho­li­ken bei­spiels­wei­se (anders als in einem Got­tes­dienst der Ortho­do­xen) auf Geheiß der eige­nen Kir­chen­füh­rung nicht gestat­tet ist, am luthe­ri­schen Abend­mahl teil­zu­neh­men. Wäh­rend zudem seit eini­ger Zeit Frau­en in immer mehr luthe­ri­schen Kir­chen auch jen­seits Deutsch­lands Pfar­rer wer­den kön­nen, ist ihnen dies in der Katho­li­schen Kir­che ver­wehrt. Maß­stab dafür ist, dass Jesus in den Kreis sei­ner Apos­tel nur Män­ner beru­fen hat, was die Katho­li­sche Kir­che gera­de nicht als Aus­druck zeit­be­ding­ter Benach­tei­li­gung von Frau­en interpretiert.

Auch wenn in die­sem Jahr die Errun­gen­schaf­ten Luthers gewür­digt wer­den – als Bibel­über­set­zer, Hoch­deutsch-Ent­wick­ler, Strei­ter fürs Sel­ber­le­sen und Kämp­fer wider Kor­rup­ti­on in der Kir­che –, ändert dies nichts dar­an, dass er die Kir­che („weg von Rom“) und Deutsch­land selbst gespal­ten hat. Aus­ge­rech­net letz­te­res wird sel­ten beach­tet, gilt er doch gera­de jenen als Leu­mund, die die natio­na­le Ein­heit in Abgren­zung zum Ande­ren ent­ge­gen dem all­um­fas­sen­den, katho­li­schen Prin­zip beson­ders beschwö­ren. Dabei schei­ter­te Luther mit sei­nem Ansin­nen, eine deut­sche Natio­nal­kir­che zu schaf­fen und ein Natio­nal­kon­zil ein­zu­be­ru­fen. Die Bau­ern­mas­sen, die sich auf die von ihm pro­kla­mier­te Gewis­sens­frei­heit berie­fen, um auch ihre viel­fach pre­kä­re poli­tisch-wirt­schaft­li­che Stel­lung zu ver­bes­sern, ließ er mit­hil­fe sei­ner fürst­li­chen Unter­stüt­zer tot­schla­gen. Er hielt die Auf­rüh­rer für vom Teu­fel besessen.

Inner­kirch­li­che Refor­men trie­ben statt Luther ande­re voran

Refor­men in der Kir­che woll­ten aber ande­re, Luthers Zeit­ge­nos­se Eras­mus von Rot­ter­dam etwa, den Luther beschimpf­te. Dabei hat­te der sich wort­ge­wal­tig mit dem Zustand der Klös­ter oder der aus dem Ruder gelau­fe­nen Hei­li­gen­ver­eh­rung aus­ein­an­der­ge­setzt: „Wir küs­sen die Schu­he der Hei­li­gen und ihre schmut­zi­gen Schweiß­tü­cher“, schrieb er, „ihre hei­ligs­ten und wirk­sams­ten Reli­qui­en aber, näm­lich ihre Bücher, las­sen wir acht­los lie­gen.“ Doch der Huma­nist blieb katho­lisch, obwohl eini­ge sei­ner Schrif­ten auf dem Index lan­de­ten: „In Luthers Kir­che hät­te ich eine der Kory­phä­en wer­den kön­nen“, sag­te er, „aber ich woll­te lie­ber den Hass ganz Deutsch­lands auf mich zie­hen, als mich von der Gemein­schaft der Kir­che zu tren­nen.“ Wäh­rend Eras­mus außer­dem für die mensch­li­che Wil­lens­frei­heit ein­trat, ver­warf Luther die­se. Es kommt so nicht von unge­fähr, dass der Wit­ten­ber­ger heu­te man­chen His­to­ri­kern stär­ker als Expo­nent mit­tel­al­ter­li­chen Den­kens gilt, das er eher fort­schrieb, denn als Neue­rer – was para­dox anmu­tet ange­sichts all der Ver­än­de­run­gen, die er bewirkte.

Deut­lich wird das zum Bei­spiel im Teu­fels- und Dämo­nen­glau­ben, „dem Luther eine Buch­stäb­lich­keit beließ, die seit dem 13. Jahr­hun­dert nicht mehr selbst­ver­ständ­lich war“, schrieb der Mit­tel­al­ter-His­to­ri­ker Kurt Flasch. Außer­dem for­de­re uns die Luther-Ver­eh­rung auf, Doc­tor Mar­ti­nus aus sei­ner Zeit her­aus zu ver­ste­hen, so Flasch, was als bewähr­tes Prin­zip moder­ner his­to­rio­gra­fi­scher For­schung gilt. Es führt aber mit Blick auf Luther zu zwei­er­lei Maß. Wäh­rend man ihm oder Beglei­tern eini­ges als „mit­tel­al­ter­lich“ oder zeit­ge­bun­den („die wuss­ten es nicht bes­ser, das muss man ver­ste­hen“) durch­ge­hen lässt, zeigt sich der kri­ti­sche Betrach­ter gegen­über (katho­li­schen) Zeit­ge­nos­sen viel­fach weni­ger nach­sich­tig. Dass Luther die Dop­pel­ehe des wich­ti­gen Ver­bün­de­ten und Land­gra­fen Phil­ipp von Hes­sen recht­fer­tig­te – „die­se wüss­ten wir nicht zu ver­ur­tei­len“ –, taugt oft nur als Fuß­no­te. Aus theo­lo­gi­scher Sicht war das unglaub­lich. Aber die Zustän­de in Rom!

Doch Luther woll­te den nach­hal­ti­gen Bruch mit der „alten“ Kir­che, dafür brauch­te er Ver­bün­de­te. Und nur wer sich von Gott per­sön­lich beauf­tragt wähnt, konn­te, wie er im Jah­re 1522, sagen: „Wer mei­ne Leh­re nicht annimmt, der möge nicht selig wer­den.“ Das lässt sich nicht auf einen Nen­ner brin­gen mit dem „Alle sol­len eins sein“, das Jesus selbst im Johan­nes-Evan­ge­li­um for­der­te. Nur Abweich­ler in den eige­nen Rei­hen ver­ur­teil­te er rigi­der als Römisch-Katho­li­sches: Die „Irr­tü­mer“ des Weg­be­rei­ters der Refor­mier­ten Kir­che, Ulrich Zwing­li, hielt Luther für sie­ben­mal schlim­mer als die der „Papis­ten“. Dabei hat­te auch der Apos­tel Pau­lus, den Luther ver­ehr­te, einst an die Gemein­de in Korinth geschrie­ben: „Ich ermah­ne euch aber, Brü­der, im Namen Jesu Chris­ti, … dul­det kei­ne Spal­tun­gen unter euch.“ Viel­leicht nicht in ers­ter Absicht, doch in der Kon­se­quenz hat­te Luther sein hal­bes Leben lang an nichts ande­rem gearbeitet.

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