Was Mittelsachsen über ihren Landkreis sagen, der vor zehn Jahren gegründet worden ist. Heute: Pater Ansgar, Benediktinermönch und katholischer Pfarrer von Wechselburg und Burgstädt.
WECHSELBURG. 25 Jahre ist Pater Ansgar im August in Wechselburg zu Hause, mit wenigen Unterbrechungen – etwa für sein Theologiestudium Anfang der 1990er-Jahre. Seit 2010 leitet der Benediktinermönch die hiesige katholische Pfarrei, zu der seit 2005 auch Burgstädt gehört. Die Zusammenlegung der vormals selbstständigen Landkreise in mehreren Etappen zu einem großen hat er daher miterlebt.
Die jüngste Verwaltungsreform, die lange die Gemüter erregte, ließ ihn dennoch einigermaßen ungerührt. Zwar stehen auch die Strukturen der katholischen Kirche mangels junger Pfarrer und wegen schrumpfender Gläubigenzahl unter Druck – auf dem Gebiet der Pfarrei seien nur etwa 1,8 Prozent der Bürger Katholiken, sachsenweit sind es knapp 4 Prozent. Zur Kreisgebietsreform stand das aber in keiner Verbindung. Geändert hat sich gleichwohl der Ansprechpartner für das mit Basilika und Kloster verbundene einstige Schloss der Grafen von Schönburg-Glauchau. Für das frühere Krankenhaus, das sich in Kreisbesitz befindet, haben die Mönche nach Jahren, in denen es andere Hoffnungen gab, allerdings keine eigenen Pläne mehr.
„Allein mit einem Sich-abgrenzen-Wollen können wir nicht argumentieren“
Mit Blick auf die Veränderungen seit 2008 kommt der Pater auf sein altes Autokennzeichen – „MW“ – zu sprechen, das er gegen das zunächst obligatorische „FG“ eintauschen musste. „Mir gefiel das ganz gut, da ich es mir mit ‚Monasterium Wechselburgensis‘ ausbuchstabiert habe“, so der 63-jährige Priester schmunzelnd. Die lateinische Formulierung steht für „Kloster Wechselburg“. Das Ausmaß, das die Nummernschild-Debatte in Mittelsachsen angenommen hatte, sah er allerdings amüsiert. „Allein mit einem Sich-abgrenzen-Wollen können wir als Katholiken ohnehin nicht argumentieren“, sagt der Pater.
Zwar tauge ein Kennzeichen dazu, in einer unübersichtlicher werdenden Welt Identität, Herkunft, Zugehörigkeit sowie Unterscheidung und Abgrenzung von anderen auszudrücken. Geografische Identität sei für ihn aber nicht die entscheidende, sagt der in Hamburg geborene Mittelsachsen-„Zuwanderer“. Für sein Theologiestudium in Würzburg, München und Erfurt ist er viel gereist. „Ich fühle mich da wohl, wo ich angenommen und willkommen geheißen werde und wo die, die das nicht können, immerhin neugierig sind“, so der Diplom-Kaufmann, der vor seinem Eintritt in den Benediktinerorden bei der Bundeswehr Wirtschafts- und Organisationswissenschaften studierte.
„Hinzu kommt, dass mich mein Dienst immer wieder auch im Großkreis in verschiedene Regionen führt“, sagt der frühere Offizier, der 1989/90 in die oberbayerische Benediktinerabtei Ettal eintrat. Seine Erfahrung: Die Mittelsachsen unterschieden sich in seinen Haupteinsatzregionen kaum voneinander, was kein Widerspruch dazu sei, dass es den Mittelsachsen schlechthin für ihn nicht gebe. Es komme stets aufs Neue darauf an, auf den Einzelnen und seine Situation zu schauen: Pater Ansgar – sein Ordensname verweist auf den gleichnamigen Erzbischof von Hamburg und Bremen aus dem 9. Jahrhundert – ist nicht nur Polizei‑, sondern auch ehrenamtlicher Notfallseelsorger.
Einerseits ist er also Beistand für Polizisten, beispielsweise nach Einsätzen, oder in anderen seelsorgerischen oder psychologischen Fragen. Dabei gehe es etwa um den Umgang damit, wenn ein Polizist im Dienst Gewalt erlebt, angegriffen wurde oder die Waffe eingesetzt hat. Mit möglichen Folgen dürften Beamte nicht alleingelassen werden.
Mönchisches Leben habe sich nicht überlebt
Anderseits unterstützt er Einsatzkräfte in den Bereichen Döbeln und Mittweida, wenn diese Angehörigen Trauernachrichten überbringen müssen. In derartigen Umständen sind für ihn die oft betonten Unterschiede zwischen den Erzgebirgsregionen auf der einen Seite und jenen im Chemnitzer oder Leipziger Umland auf der anderen Seite nicht von Belang. Dann sei Beistand nötig, Trost, Innehalten, es würden die großen Fragen des Lebens gestellt. „Es geht auch darum, niemanden allein zu lassen“, sagt der durch Zusatzausbildungen qualifizierte Mönch, der nicht nur dabei seinen christlichen Glauben als Hilfe zum Leben versteht. Erst wenn Verwandte oder Freunde vor Ort seien, ziehe er sich – nach dem Verweis auf die Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben – zurück.
Einher geht dieser Dienst mit der besonderen Sichtbarkeit des „Diensthabenden“, auch nach zweieinhalb Jahrzehnten Leben im Kloster: Die vier Wechselburger Mönche fallen auf der Straße immer noch auf. „Unser schwarzer Habit, die Ordenstracht, erregt Neugier, auch wenn sie über die Jahre etwas nachgelassen hat“, so der Priester. „Nach wie vor kommt man leicht ins Gespräch“. Kinder riefen ihm ab und an schelmisch ein „Halleluja“ oder „Amen“ hinterher. Mit der Präsenz der Mönche im Landkreis will er mit seinen Mitbrüdern auch deutlichmachen, dass das mönchische Leben sich mit dem Mittelalter nicht erledigt habe – egal, wo die Kreisgrenzen gezogen werden.
Das „Nummernschildproblem“ seit dem Abschied von „MW“ löste er übrigens, indem er sich bei der Buchstabenkennung nach dem „FG“ für „KW“ entschied, was wiederum für „Kloster Wechselburg“ steht. Und die Ziffer „850“ verweist auf das große Wechselburger Kirchweih- und Ortsjubiläum in diesem Jahr.
Gebürtiger Hamburger bewarb sich einst auch beim Bundesnachrichtendienst
Bernhard Orgaß, der nach dem Eintritt bei den Benediktinern als Ordensnamen „Ansgar“ wählte, wurde im Juni 1954 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur trat er in die Panzertruppe der Bundeswehr ein, der er von 1975 bis 1988 angehörte. Orgaß wurde Zugführer und Fernmeldeoffizier in einem Bataillonsstab. Über einen Militärpfarrer kam der Kontakt zur Benediktinerabtei Ettal zustande, zu der Kloster Wechselburg gehört. Dabei hätte alles anders kommen können: Zunächst hatte er sich nach der Bundeswehr beim Bundesnachrichtendienst beworben. Seit Gründung des Ettaler Tochterklosters im Jahre 1993 ist Pater Ansgar in Wechselburg – „die längste Zeit meines Lebens“, sagt er. Er war zunächst Kaplan in Geithain und Bad Lausick und ist heute auch in der berufsethischen Ausbildung angehender Beamter an der Polizeifachschule in Chemnitz tätig.