Dresden, 21. Oktober 2013

Ein alter Herr – sicher jen­seits der Acht­zig – sitzt neben einer Dame in der Stra­ßen­bahn, wäh­rend die­se die Kriegs­rui­ne der evan­ge­li­schen Tri­ni­ta­tis­kir­che in Dres­den-Johann­stadt pas­siert. Sie, die sei­ne Toch­ter sein könn­te, raunt ihm zu: „St. Tri­ni­ta­tis“. Und er über­setzt: „Drei­hei­lig­keit, Drei-hei­lig-keit.“ Die Bahn kommt zum Still­stand, denn der Ver­kehr ist dicht. Die Glei­se sind in der Stra­ße ver­legt. Gebannt bli­cken die bei­den auf die ver­narb­te Fas­sa­de des Kir­chen­schif­fes, das seit dem Krieg – mah­nend – ohne Dach aus­kom­men muss. „Drei­hei­lig­keit“, sagt der alte Mann noch ein­mal und immer wie­der. Ich dre­he mich um zu ihnen und flüs­te­re: „Drei­fal­tig­keit“. „Wie?“, fragt er ungläu­big. Und ent­geg­net mir mit siche­rer Stim­me: „Drei­hei­lig­keit.“ Aber­mals ich: „Drei­ei­nig­keit oder Drei­fal­tig­keit, Gott in drei Per­so­nen: Vater, Sohn und Hei­li­ger Geist.“ Er run­zelt die Stirn – und raunt nach einer Wei­le, sicht­lich glück­lich: „Stimmt, Sie haben recht.“ Wäh­rend die Dame ihm zuflüs­tert: „Man lernt nie aus.“ Dann schwei­gen bei­de minu­ten­lang, bis die Bahn stadt­aus­wärts ein Denk­mal links lie­gen lässt, das einen Stier zeigt, auf dem eine Frau sitzt. „Euro­pa, auf dem Rücken von Zeus, der sie in Gestalt eines Stie­res ent­führt“, weiß die Frau nun sicher in den Schlauch der Stra­ßen­bahn hin­ein zu berich­ten. Etwas lau­ter, damit es zu hören ist, wie­der­holt sie sich. Dann kehrt wie­der Stil­le ein zwi­schen den beiden.

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