Gegen Gesprächsverbote und „Proll-Hass als Elitensport“

Warnt vor Falschzuschreibung, der oft Aneignung folge: der an der Universität Princeton forschende Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller. Foto: Michael Kunze
Warn­te in Dres­den davor, jemand oder etwas vor­schnell „popu­lis­tisch“ zu zei­hen, denn oft sei Aneig­nung die Kon­se­quenz: der an der Uni­ver­si­tät Prince­ton for­schen­de Poli­to­lo­ge Jan-Wer­ner Mül­ler. Foto: Micha­el Kunze

Der Poli­to­lo­ge Jan-Wer­ner Mül­ler hat in Dres­den vor Fal­len im Umgang mit Popu­lis­ten gewarnt; eine Kol­le­gin hielt der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Zunft den Spie­gel vor.

DRESDEN. Wer über „Popu­lis­mus“ spricht, kann die Schrif­ten des an der ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tät Prince­ton for­schen­den Jan-Wer­ner Mül­ler kaum aus­klam­mern. Die spä­tes­tens seit Pegi­da, AfD und Trump-Prä­si­dent­schaft dau­er­erreg­te Debat­te über den Cha­rak­ter der­ar­ti­ger Phä­no­me­ne wur­de zwar durch Mül­lers Essay „Was ist Popu­lis­mus?“ (2016) in man­cher Hin­sicht vom Bauch in den Kopf ver­la­gert. Oder: hät­te dort­hin ver­la­gert wer­den kön­nen. Denn am nüch­ter­nen Blick fehlt es wei­ter, auch an Genau­ig­keit dabei, das Phä­no­men zu fas­sen und Kon­se­quen­zen für Wis­sen­schaft, Poli­tik oder Kul­tur abzuleiten.

So lag es nahe, dass sich die Orga­ni­sa­to­ren der jüngst in Dres­den aus­ge­rich­te­ten Jah­res­ta­gung des dor­ti­gen TU-Son­der­for­schungs­be­reichs 1285 „Invek­ti­vi­tät“ („Her­ab­wür­di­gung“) den Gast aus Über­see ein­ge­la­den hat­ten. Der Poli­to­lo­ge warn­te in sei­nem Vor­trag vor drei Fall­stri­cken in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Popu­lis­ten: 1. Gesprächs- und Kon­takt­ver­bo­te zu ver­hän­gen und Aus­schlüs­se von popu­lis­ti­schen Poli­ti­kern aus Debat­ten oder Gre­mi­en. „Das bestä­tigt sie in ihrer Kri­tik, dass sich die Eli­ten nicht auf die Bür­ger ein­las­sen“, sag­te er. Kein Mensch sei „unrett­bar ver­lo­ren“. Mül­ler sieht kei­ne Alter­na­ti­ve dazu, gesprächs­be­reit zu blei­ben. 2. Imi­tie­re die Kon­kur­renz popu­lis­ti­sche Par­tei­en inhalt­lich und dem Stil nach, stär­ke dies die Ori­gi­na­le. Und wer poli­ti­sche Geg­ner popu­lis­tisch nen­ne, ohne dass dies zutref­fe, oder in der Kri­tik über­zie­he, müs­se damit rech­nen, dass Zuschrei­bung Aneig­nung fol­ge 3. Wer sich dar­in gefal­le, Poli­ti­ker wie Donald Trump Lüg­ner zu nen­nen, sich selbst aber im allei­ni­gen Besitz der Wahr­heit wähnt, sei nicht bes­ser als die Kritisierten.

Nicht über jedes Stöck­chen – oder: Den Kreis der Dau­er­erre­gung durchbrechen

Mül­lers Fazit: Popu­lis­ten blei­ben eine Her­aus­for­de­rung. Einen Königs­weg im Umgang gibt es nicht. Jede poli­ti­sche Kraft muss in jedem Land zu jeder Zeit geson­dert betrach­tet wer­den. Die Aus­ein­an­der­set­zung soll­te in der Sache geführt wer­den. Nicht auf jede Ent­glei­sung muss reagiert wer­den, wohl aber die Zuschrei­bung „popu­lis­tisch“ prä­zi­se ver­wen­det. Das ging an die Adres­se der Poli­tik, sei­ner Kol­le­gen und der Medien.

Auf das Gespens­ti­sche des Begriffs hat­te, wor­an der His­to­ri­ker Gerd Schwer­hoff erin­ner­te, schon vor 33 Jah­ren der Sozio­lo­ge Hel­mut Dubiel in der Zeit­schrift „Mer­kur“ ver­wie­sen: „Bezeich­net … [Popu­lis­mus] eine sozia­le Bewe­gung“, frag­te der sei­ner­zeit, „eine poli­ti­sche Ideo­lo­gie, eine Form des poli­ti­schen Ver­hal­tens oder nur eine Men­ta­li­tät?“ Das liegt im Auge des Betrach­ters, des­sen, der mit die­ser Selbst­be- oder Zuschrei­bung han­tiert. Den Popu­lis­mus gebe es nicht. Wel­len­ar­tig keh­re das Phä­no­men immer wie­der – und bleibt Forschungsgegenstand.

Bla­sen – da wie dort

Dabei mögen auch Wis­sen­schaft­ler auf der Hut sein, mahn­te die Sozio­lo­gin Karin Pries­ter, denn in Bla­sen befän­den sich nicht nur die ande­ren. Das gel­te auch für „uns hier im Saal“, sag­te sie. Eben­so sei die Suche nach Sün­den­bö­cken kei­ne, der nur Popu­lis­ten ver­fal­len. Pries­ter warn­te vor „Proll-Hass als Eli­ten­sport“, denn aktu­el­le öko­no­mi­sche Ver­wer­fun­gen trä­fen nicht nur man­che Ange­stell­te, Arbei­ter oder klei­ne Selbst­stän­di­ge, son­dern etwa in Grie­chen­land, Spa­ni­en oder Ita­li­en längst Aka­de­mi­ker (man moch­te hin­zu­fü­gen: nicht nur dort). Hin­zu kom­me die rasan­te kul­tu­rel­le „Moder­ni­sie­rung“, die mit einer drei­fa­chen Spal­tung ein­her­ge­he: nach Zen­trum und Peri­phe­rie, zwi­schen den Genera­tio­nen sowie nach sozia­ler Schichtung.

Eigent­lich wären dies Ein­falls­to­re für Ant­wor­ten auf die Lage aus dem lin­ken poli­ti­schen Spek­trum, sag­te Karin Pries­ter – doch die dort ent­wi­ckel­ten fän­den wenig Zuspruch, auch durch des­sen „Ein­stel­lung zur Nati­on“. Da lin­ke Par­tei­en das eige­ne Land und Gren­zen oft kri­tisch betrach­te­ten, erwar­te­ten vie­le Ver­un­si­cher­te von ihnen kei­nen Schutz gegen­über dem glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus. Sie riet zu einem posi­ti­ve­ren Bezug zum eige­nen Land, der ein soli­da­ri­sches Ver­hält­nis gegen­über ande­ren Staa­ten einschließt.

Gegen Gesprächs­ver­bo­te und „Proll-Hass als Eli­ten­sport“: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
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