Ein im Leipziger Stadtarchiv überlieferter Lebenslauf aus dem Jahr 1945 gibt Aufschluss über das damalige Wirken des heute weithin vergessenen Holzschnittmeisters Leopold Wächtler, der vor 125 Jahren in Penig geboren wurde. Währenddessen wird eine Ausstellung seiner Kunst wahrscheinlicher.
PENIG/LEIPZIG. Das bislang kaum erforschte Leben des Künstlers Leopold Wächtler (1896–1988) nimmt nach neuen Recherchen Konturen an. Im Stadtarchiv Leipzig erhaltene Dokumente, darunter ein Lebenslauf, den Wächtler verfasst hat, informieren über seinen Werdegang bis Kriegsende, während die Zeit danach vorerst im Dunkeln bleibt.
Aus dem auf den 27. Dezember 1945 datierten, zweiseitigen Schriftstück geht hervor, dass Wächtlers Vater Hugo in einer Emaillierfabrik arbeitete. In welcher, ist unklar. Der Sohn hat nach eigenen Angaben vom 6. bis 14. Lebensjahr die Peniger Volksschule besucht, von 1911 bis 1916 das „Seminar zu Waldenburg“, eine Lehrerausbildungsstätte. Dann arbeitete er als Hilfslehrer im seit 1952 zu Zwickau gehörenden Auerbach und in Oberhohndorf, später in Penig. „Seit dem 1. August 1921 war ich in Leipzig angestellt“, schrieb er, „hauptsächlich an der 14. und 33. Volksschule.“ Er nahm ab 1917 am Ersten und von Juni bis September 1940 am Zweiten Weltkrieg teil.
Der Lebenslauf gehört in Leipzig zum Bestand „Gesuche von Kunstmalern, Graphikern, Lithographen, Fotografen, Bildhauern und sonstigen Kunstgewerblern zur Anerkennung als freischaffende Künstler, 1945–1952“. Darüber informierte Olaf Hillert vom Archiv. Derartige Schreiben hatten den Zweck, nach der Nazizeit eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Dazu war auch ein Bogen mit einer Eidesstattlichen Erklärung auszufüllen, der etwa nach NSDAP‑, SA‑, SS- oder Hitlerjugend-Mitgliedschaft fragte. Das Gesuch ist an das Kulturamt der Stadt gerichtet.
Wie der 96-jährige Kunsthistoriker Hans Joachim Neidhardt, damals wie Wächtler in Leipzig-Gohlis zu Hause, in seinen jüngst vorgelegten Memoiren berichtete, hing von einer Arbeit auch die Einstufung der Lebensmittelkarte ab; viele Nahrungsmittel waren rationiert. Wer Arbeit hatte, bekam mehr zu essen: Es galt, von der „minimal belieferten Lebensmittelkarte ‚Für Sonstige‘ wegzukommen, mit der man nur verhungern konnte“, so Neidhardt. „Mit der Karte ‚Für Angestellte und freiberuflich Tätige‘ war man etwas besser versorgt.“ Wächtler bekam die Arbeitserlaubnis nach Prüfung seiner Angaben, mit denen er glaubhaft machen wollte, „energisch“ eine „Betätigung in der Hitler-Partei oder einer ihrer Gliederungen“ zurückgewiesen zu haben. Er schrieb: „Mit verschiedenen meiner Vorgesetzten in Schule, NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] und Wohnblock hatte ich schwere Kämpfe.“
Um sich „politisch zu bewähren“, sei er in den Bezirk Kattowitz (poln. Katowice, seit der Besetzung 1939 Hauptstadt des Gaus Oberschlesien) versetzt worden. Gegen den „aufgezwungenen Dienst im fremden Land“ habe er sich gewehrt und im Dezember1943 die Rückkehr nach Leipzig erreicht. Am 9. Juni 1945, einen Monat nach Kriegsende, wurde er laut Lebenslauf kommissarischer Leiter der 33., ab Oktober Leiter der 11. Leipziger Volksschule. Deren kriegszerstörte Ruine hielt er künstlerisch fest. Ein Blatt davon ist im dortigen Stadtgeschichtlichen Museum erhalten. Wächtler gab die Leitung schnell ab. Seinem Antrag auf ein Jahr Urlaub ab 1. Dezember 1945 wurde stattgegeben. Begründet hatte er diesen damit, sich ganz der Kunst widmen zu wollen, „und zwar im Besonderen im Sinne der neuen Zeit“. Es liegt nahe, seine Porträts von Stalin, Otto Grotewohl oder Wilhelm Pieck damit in Zusammenhang zu bringen. Außerdem ist auf einem der Formulare vermerkt, er habe zum 3. Januar 1946 die SPD-Mitgliedschaft beantragt. Ob dem Antrag stattgegeben wurde, ist Pia Heine, der Vorsitzenden des Arbeitskreises Geschichte der SPD Leipzig, nicht bekannt. „Wir verfügen dazu über keine Unterlagen“, informierte sie.
Die SPD in der DDR wurde im April 1946 mit der KPD zur SED zwangsvereinigt. Wie Wächtler die Umstände beurteilte, ob er Mitglied blieb, ist unklar. Weitere Angaben für die DDR-Zeit fehlen. Aufzeichnungen des Gohliser Friedhofs geben lediglich darüber Aufschluss, dass er am 19. Juni 1988 gestorben und an der Seite seiner Ehefrau Magdalene Wächtler (1898–1977), geborene Freytag, beigesetzt wurde. Das Grab bestand bis 1998.
Karsta Hönicke, die in Penig das Kleine Kino betreibt, hält währenddessen daran fest, im Herbst eine Ausstellung mit Werken des Künstlers auszurichten. Bei der Suche nach Leihgaben kann sie erste Erfolge melden: „Ein Chemnitzer Ehepaar stellt einen Scherenschnitt von Schloss Wolkenburg zur Verfügung“, sagte sie. Außerdem hat sie sich im Leipziger Stadtmuseum, das zahlreiche Wächtler-Werke verwahrt, erkundigt: Leihgaben seien kostenfrei, so Hönicke, die nun Versicherungs- und Transportfragen klären muss.
Der Peniger Roland Albrecht, Mitglied des Geschichtsvereins, konnte indes ein Missverständnis korrigieren, das einem früheren Bericht zum Leben des Künstlers zugrunde lag. Darin hieß es, dieser sei in der Peniger Schule an der Bahnhofstraße, im ehemaligen Gerichtsgebäude, geboren worden. Das stimmt sehr wahrscheinlich nicht. Vielmehr gehörte das Haus Poststraße 10 mit der Wohnung der Familie einst zur Bahnhofstraße. Bei einer Neugliederung des Straßennetzes im Jahre 1910 wurde die neue Post- von der Bahnhofstraße abgetrennt und dieser das Eckhaus mit der neuen Nummer 10 zugeschlagen, berichtete Albrecht. Geburts- und Wohnhaus sind also ziemlich sicher ein- und dasselbe.